Die gestaltende Rolle der Kassen in der Gesundheitsversorgung
In unserem Gesundheitssystem sind gesetzliche Krankenkassen prädestiniert, Vorsorge und Versorgung zu gestalten. Die Kassen begleiten die Versicherten, oft als einzige Institution im Gesundheitswesen, den Großteil ihres Lebens auf dem Versorgungspfad.
Wir wollen diesen besonderen Status nutzen, um die Versicherten durch das komplexe Gesundheitssystem zu lotsen und – dort, wo Handlungsbedarf besteht – im Sinne der Versicherten Unter-, Über- und Fehlversorgung zu verringern. Vor dem Hintergrund der Zunahme chronischer Erkrankungen wollen wir Versicherte für Gesundheitsthemen frühzeitig sensibilisieren und durch Steuerung in geeignete Versorgungsangebote zur Reduktion der Krankheitslast beitragen.
Der Sektor für digitale Angebote wächst stetig, die digitale Gesundheitskompetenz der Versicherten ist jedoch noch ausbaufähig.
Damit digitale Angebote Zugang finden und ihr Potenzial entfalten können, wollen wir die Gesundheits- und Digitalkompetenz der Versicherten stärken, um digitale Anwendungen in der Versorgung nutzbar zu machen und die Gesunderhaltung und Krankheitsbewältigung der Versicherten zu unterstützen. Wir wollen darüber hinaus auch weiterhin ein Garant einer wirtschaftlichen und qualitativ hochwertigen Versorgung bleiben.
Der medizinische Fortschritt und die Digitalisierung eröffnen neue Versorgungsmöglichkeiten. Viele Versicherte wünschen sich eine bessere Betreuung durch die Krankenkassen, um sich im Gesundheitssystem zurecht zu finden. Insbesondere in der sektorenübergreifenden Versorgung besteht Koordinationsbedarf, um Schnittstellenproblematiken wie beispielsweise Polymedikation oder Multimorbidität angemessen zu begegnen. Demgegenüber steht ein, trotz erheblicher Verbesserungen, immer noch restriktiver Sozialdatenschutz, der den Handlungsspielraum der Kassen einschränkt.
Daten stehen den Kassen nicht schnell genug, nicht ausreichend oder in mangelhafter Qualität zur Verfügung. Die wahrnehmbare Rolle der Krankenkassen beschränkt sich überwiegend darauf, dass sie Arzt- und Krankenhausrechnungen bezahlen.
Die reine Verwaltung von Beitragsgeldern ist in der modernen Gesundheitsversorgung jedoch nicht mehr sachgerecht. Es besteht ein hoher Bedarf zielgruppenspezifischer Angebote zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz. Zusätzlich konterkarieren politische Entscheidungen die Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen, wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen.
Das Ausschreibungsverbot für Hilfsmittel im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) erschwert die Verhandlungen mit den Herstellern. Immer wieder wird versucht, die Möglichkeiten der Kassen für Abrechnungsprüfungen einzuschränken, wie mit der ursprünglich beabsichtigten Stichprobenprüfung im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) oder der zwischenzeitlich geplanten Bagatellgrenze für Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei ärztlich verordneten Leistungen im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG).
Obwohl im Bereich der Digitalisierung und Datennutzung bereits erhebliche Fortschritte erzielt wurden, wird das Potenzial der Digitalisierung und der elektronischen Patientenakte (ePA) durch die derzeit geltende Rechtslage nicht voll ausgeschöpft. Es sollte ein regelhafter Anspruch für Versicherte auf Unterstützungsleistungen in herausfordernden Versorgungslagen geschaffen werden.
Kassen sollten außerdem die Möglichkeit erhalten, den eigenen Datenschatz mit Zustimmung der Versicherten für eine individuelle und patientenzentrierte Versorgungssteuerung vollumfänglich zu nutzen. In der Digitalisierung und der ePA sehen wir das Potenzial nach Freigabe durch die Versicherten und unter Verschwiegenheitspflicht, einen individuellen Behandlungsplan mit den Leistungserbringern abzustimmen, umzusetzen, zu dokumentieren und den Datenaustausch mit beteiligten Leistungserbringern zu koordinieren und zu fördern.
Dafür müssen die Datenqualität verbessert und Transparenz über die Datennutzung geschaffen werden, um das Vertrauen der Versicherten in die Datennutzung für die Versorgung zu stärken. Die KKH hat als erste Kasse überhaupt ein Gesundheitscoaching von Patient*innen zur Unterstützung therapeutischer Maßnahmen und zur Förderung einer gesunden Lebensweise eingeführt.
Diese Form der gesundheitsstärkenden Arbeit als Kasse sollte politisch gestärkt und explizit vom SGB V als mögliche Leistung benannt werden. Gesundheitskompetenz spielt bei der Gesunderhaltung und Krankheitsbewältigung unbestreitbar eine wichtige Rolle. Krankenkassen können hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Jedoch sollte sich die Gesellschaft auf allen Ebenen mit dem Ziel der Stärkung der Gesundheitsbildung auseinandersetzen. Ein wesentlicher Aspekt ist hierbei, dass Bildungsstand und gesundheitsbewusstes Verhalten einhergehen. Die KKH fordert daher die künftige Bundesregierung auf, Bildung als einen Schwerpunkt ihrer Investitionspolitik zu wählen. Diese Investitionen werden sich langfristig nicht nur bei den Gesundheitsausgaben auszahlen. Investitionen in Bildung sind von der Schuldenbremse auszunehmen, um die finanziellen Bremsen der vergangenen Jahre in der Bildungspolitik endlich zu lösen.
Die Krankenkassen investierten 2022 für gesundheitsförderliche Maßnahmen in Lebenswelten wie Kindertagesstätten, Schulen und Kommunen knapp 160 Millionen Euro, dazu gehörten auch Ansätze zur Stärkung der Gesundheitskompetenz. Die Kassen müssen auch weiterhin die Möglichkeiten behalten, finanzielle Mittel für die Entwicklung der Gesundheitskompetenz bereitzustellen. Der finanzielle Spielraum der Kassen für Versorgungsinnovationen muss erhalten bleiben.
Das Ausschreibungsverbot für Hilfsmittel muss zurückgenommen werden. Eine Rückkehr zur Vertragsgestaltung per Ausschreibung würde wieder zu bürokratiearmen Vertragsabschlüssen führen und eine gute und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung gewährleisten. Eine Erweiterung der Spielräume für Vertragsverhandlungen sorgt für mehr Effizienz in der Versorgung. Die Prüfmöglichkeiten der Kassen müssen grundsätzlich erhalten bleiben, bedürfen aber einer Reform, damit wieder mehr Beitragsmittel für die Versorgung zur Verfügung stehen. Dazu gehört etwa die Abschaffung oder Vereinheitlichung der Prüfquoten oder eine einheitliche Sanktionierung fehlerhafter Abrechnungen. Im Krankenhausbereich sollten sich die Prüfergebnisse auf alle, auch auf die fallzahlunabhängigen Bestandteile der Vergütung auswirken.