Ordnungspolitischer Kompass
Aus dem sozialstaatlichen Gebot des Grundgesetzes ergibt sich die Pflicht des Staates zur Daseinsvorsorge, einschließlich der Schaffung eines tragfähigen Gesundheits-, Pflege- und Krankenhaussystems.
Hierzu gehört insbesondere eine ausreichend und nachhaltig finanzierte Infrastruktur. In Deutschland hat sich das Prinzip der dualen Finanzierung etabliert: Die Krankenkassen finanzieren die Betriebskosten der Krankenhäuser, also die Behandlungskosten der Patient*innen. Die Investitionskosten hingegen sollen von den Bundesländern getragen werden. Im Bereich der stationären Pflege regelt das SGB XI, dass die Förderung von Investitionskosten Aufgabe der Länder ist.
Der Staat zieht sich jedoch zunehmend aus der Daseinsvorsorge zurück. Die Finanzierung von Investitionen in die Infrastruktur der Krankenhausversorgung und Pflege wird vermehrt auf die Beitragszahler*innen und Pflegebedürftige abgewälzt, was die Ungerechtigkeit im System verstärkt.
Die Bundesländer decken seit Jahren nur circa die Hälfte des Investitionsbedarfes der Krankenhäuser ab, obwohl sie gesetzlich zur Finanzierung der kompletten Investitionskosten verpflichtet sind.
Fehlende Investitionen werden über die Betriebskosten, die von den Krankenkassen zur Behandlung von Krankheiten übernommen werden, quersubventioniert. Auch die Investitionsmittel der Bundesländer für stationäre Pflegeeinrichtungen sinken stetig, obwohl diese zur Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur verpflichtet sind. Dies führt vor allem zu einer finanziellen Mehrbelastung der Bewohner*innen, auf die die Investitionskosten umgelegt werden. Darüber hinaus werden Gelder der GKV zweckentfremdet, um Investitionen in die Versorgungsstrukturen zu finanzieren. Als Beispiel seien nur der Transformationsfonds für die Krankenhausreform, den die GKV hälftig finanzieren soll, die Kosten der Digitalisierung des Gesundheitswesens oder die Finanzierung des Innovationsfonds und des Krankenhausstrukturfonds aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds genannt.
Der erreichte Zustand ist ungerecht und gefährdet den sozialen Frieden, denn gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen auch von allen finanziert werden, nicht nur von den Beitragszahler*innen der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Staat muss wieder mehr Verantwortung in der Daseinsvorsorge übernehmen, um die Versicherten von immer weiter steigenden Sozialversicherungsbeiträgen zu entlasten und eine gerechtere Finanzierung zu gewährleisten. Dafür müssen Investitionen in die Infrastruktur, in Innovationen und Digitalisierung wieder verbindlich und verlässlich aus Steuermitteln finanziert werden. Daseinsvorsorge heißt aber auch, für Lebensverhältnisse zu sorgen, die allen Menschen ermöglichen, gesund zu leben und gesund zu altern. Die GKV-Ausgaben gehören zu den höchsten in Europa, während die Lebenserwartung unterdurchschnittlich ist. Um die Solidarität zu sichern und Qualität zu fördern, sind Investitionen in die Prävention und Früherkennung, insbesondere bei chronischen Erkrankungen dringend nötig.
Ziel jeglichen politischen Handelns muss es sein, die vorhandenen Lebensjahre der Menschen mit Qualität zu füllen und nicht nur die Quantität der Jahre zu erhöhen. Die Pflegeversicherung ist mit ihren Leistungen ein unverzichtbarer Teil des Versorgungsgeschehens. Jedoch könnte durch ein gesundheitsbewussteres Verhalten in der Gesellschaft ein Großteil der Leistungen vermieden und der Eintritt in die Pflegebedürftigkeit im Vergleich zum aktuellen Status Quo erheblich verzögert werden. Die Zahl gesunder Lebensjahre ab dem 60. Lebensjahr muss in Deutschland wieder steigen und im europäischen Vergleich wieder mit zur Spitzengruppe gehören.
Der weitere Ausbau und die Stärkung bestehender Präventionsstrukturen sind hierfür eine wichtige Voraussetzung. Die gesetzlichen Krankenkassen sind derzeit die einzigen Institutionen, die zur Finanzierung von Prävention und Gesundheitsförderung in den Lebenswelten gesetzlich verpflichtet sind. Es ist aber ein umfassenderer Ansatz notwendig, der über die GKV hinausgeht und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe versteht.
Nur mit einem integrierten Ansatz, der alle relevanten Politikbereiche einbezieht und Prävention systematisch in den sozialen Kontext integriert, kann diese erfolgreich sein. In der strukturierten Umsetzung und Finanzierung müssen auch Bund, Ländern und Kommunen in die Pflicht genommen werden.
Nicht zuletzt müssen die gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit erhalten, die Beitragsgelder gegen staatliche Übergriffe zu schützen, die gegen die geltende Ordnungspolitik verstoßen und verfassungswidrig sind. Sozialversicherungsbeiträge müssen dem Binnensystem der Sozialversicherung zur Verfügung stehen.
Um diesen Grundsatz zu verteidigen, muss der rechtliche Status der gesetzlichen Krankenversicherung gestärkt werden. Kassen müssen die Möglichkeit erhalten, gesetzgeberische Maßnahmen vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen.