Nachhaltige Finanzierung von gesetzlicher Kranken- und Pflegeversicherung
Der umlagefinanzierte, solidarische Ansatz der GKV-Finanzierung ist in unserer Gesellschaft historisch tief verwurzelt und hat sich über viele Jahrzehnte hinweg bewährt. Der Solidarausgleich gewährleistet eine hochwertige medizinische Versorgung für alle Versicherten unabhängig von ihrem sozialen oder finanziellen Status. Aktuell sind 74,3 Millionen Bürger*innen gesetzlich krankenversichert, das sind rund 88 Prozent der Bevölkerung.
Dieses System trägt somit maßgeblich zur sozialen Gerechtigkeit bei und muss auch in Zukunft erhalten bleiben. Die Diskrepanz zwischen Einnahmen und Ausgaben der GKV hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Dies stellt die GKV vor gravierende finanzielle Herausforderungen, die eine nachhaltige und verlässliche Finanzierung notwendig machen.
Für das Jahr 2025 geht der GKV-Schätzerkreis von einer Finanzierungslücke in einer Größenordnung von mehr als 46 Milliarden Euro aus, die grundsätzlich durch noch höhere Zusatzbeiträge der Krankenkassen geschlossen werden muss. Grund dafür ist neben kostenträchtigen Gesundheitsgesetzen, dass die Politik Versichertengelder nutzt, um Investitionen in die Versorgungsstrukturen zu finanzieren.
Erschwerend kommt hinzu, dass versicherungsfremde Leistungen nach wie vor nicht kostendeckend über Steuerzuschüsse finanziert werden. Zusagen aus dem Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition, wie eine Dynamisierung des Bundeszuschusses oder höhere Beiträge für Bürgergeldbezieher*innen, wurden nicht umgesetzt.
Das Leipziger Forschungsinstitut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung WIG2 geht allein für das Jahr 2023 von rund 60 Milliarden Euro für diese unzulässige Belastung der Beitragszahlenden in der GKV aus, die umgerechnet rund 2,5 Beitragssatzpunkten entsprechen. Für den kurzfristigen Ausgleich von Finanzierungslücken hat die Politik außerdem wiederholt in die Rücklagen der Kassen gegriffen und so vorausschauende Haushaltsplanungen der Kassen faktisch unmöglich gemacht. Die Kassen müssen daher die Zusatzbeiträge in immer kürzeren Abständen, oftmals sogar unterjährig, anpassen. Der Staat bereichert sich an dieser Stelle zu Unrecht an den Beiträgen der GKV-Mitglieder!
Ähnlich sieht es bei der sozialen Pflegeversicherung aus, die 2024 ein Defizit von 1,8 Milliarden und 2025 voraussichtlich von 3,5 bis 5,8 Milliarden Euro zu verzeichnen hat. Grund dafür sind unter anderem der stetige hohe Anstieg der Leistungsbeziehenden, die einmalig hohe Zuführung in den Pflegevorsorgefonds und der seit 2024 ausgesetzte Bundeszuschuss in Höhe von einer Milliarde Euro.
Es ist notwendig, dass die staatlichen Akteure, also Bund, Länder und Kommunen, wieder ihrer Verantwortung nachkommen und die ihnen übertragenen Aufgaben auch vollständig finanzieren. Durch auskömmliche Beiträge für Bürgergeldbezieher*innen, eine kostendeckende Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen und Maßnahmen auf der Ausgabenseite, wie etwa durch einen reduzierten Mehrwertsteuersatz bzw. Nullsteuersatz für Arzneimittel, Hilfsmittel und Medizinprodukte, kann derHaushalt der GKV kurzfristig entlastet werden.
Langfristig muss die GKV-Finanzierung jedoch auf eine sichere Einnahmenbasis gestellt werden. Ein künftiges Finanzierungsmodell muss aus Gerechtigkeitsgründen weitere Einkommensarten berücksichtigen und im Idealfall auch Besserverdienende miteinbeziehen, die derzeit über ein Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze verfügen. Das größte finanzielle Potenzial besteht langfristig in der Hebung von Effizienzgewinnen in der Gesundheitsversorgung und nicht zuletzt in der Prävention von Krankheiten.
Eine kluge, strukturell vernetzte und evidenzbasierte Gesundheitsprävention bietet die Chance, die Gesundheit und Lebensqualität der Bevölkerung zu verbessern und somit direkt und indirekt Kosten im Gesundheitswesen einzusparen. Dafür muss der Rechtsrahmen für das Präventionshandeln der Kassen eindeutig definiert und die Präventionsarbeit ausreichend und nachhaltig finanziert werden. Die SPV benötigt zeitnah eine grundsätzliche Finanzierungsreform. Die Absicherung des Pflegerisikos ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nachhaltig finanziert werden muss. Dazu muss der Steuerzuschuss dauerhaft und verlässlich sein, um das Risiko einer Finanzierung nach Kassenlage und kurzfristige Beitragssatzerhöhungen zu verhindern. Dazu gehört auch, dass die pandemiebedingten Sonderausgaben in Höhe von rund 5,3 Milliarden Euro nachträglich durch den Bund ausgeglichen werden.
Versicherungsfremde Leistungen wie Rentenbeiträge für pflegende Angehörige müssen durch Steuergelder finanziert werden. Auch die Ausbildungskosten für Pflegefachpersonen fallen nicht in die Zuständigkeit der Pflegeversicherung. Insgesamt müssen Reformbestrebungen einen gleichberechtigten Zugang sozial schwacher oder multimorbider Bevölkerungsgruppen zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung garantieren.
Das beitragsfinanzierte System muss die tragende Säule bleiben. Eine immer größer werdende Abhängigkeit von Steuermitteln und damit von konjunkturellen Entwicklungen und politischen Schwerpunktsetzungen stellt die Verlässlichkeit der Krankenversicherung und -versorgung in Frage. Neben einer gerechten Finanzierung muss auch eine gerechte Verteilung der Mittel unter den Krankenkassen sichergestellt sein. Derzeit ist jedoch eine zunehmende Schere zwischen Krankenkassen mit über- sowie unterdurchschnittlicher Morbidität ihrer jeweiligen Versichertengemeinschaften festzustellen.
Diese Entwicklung, die vor allem Kassen benachteiligen, die den Großteil der Versorgung gewährleisten, muss gestoppt werden. Kurzfristig bietet sich hierzu in einem ersten Schritt die Aussetzung der Manipulationsbremse an, die ihren eigentlichen Zweck verfehlt und in ihrer Wirkung vor allem Kassen mit überdurchschnittlichem Versorgungsbedarf belastet. Neben dieser einfach umsetzbaren Maßnahme ist es wichtig, dass der Wissenschaftliche Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs zügig weitere Reformvorschläge entwickelt, die die Politik so kurzfristig wie möglich aufgreift.
Es ist offensichtlich: Ein erhöhter Versorgungsbedarf darf nicht zu Nachteilen in einem auf den Preis ausgerichteten Wettbewerbssystem führen – entsprechend gilt es, den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich auszugestalten!