Gemeinsam nicht mehr einsam: Mehr Glück in Beziehungen
Gemeinsam ist man weniger einsam, sagt der Volksmund. Stimmt nicht, sagen aktuelle Studien. Besonders Frauen fühlen sich in Beziehungen nicht selten einsam. Bevor Sie sich jetzt scheiden lassen, lesen Sie diesen Text.
22 Prozent der Frauen fühlen sich in ihrer Beziehung einsam, hat eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft ergeben. Eine zweite Studie der Universität Toronto aus 2024 besagt, dass Männer am glücklichsten in Beziehungen sind – Frauen aber als Singles glücklicher. Was steckt dahinter? Und wie können Partnerinnen und Partner ihre Beziehung glücklicher gestalten und mehr genießen? Denn glückliche Beziehungen fördern nachweislich unsere Gesundheit. Einsamkeit wiederum erhöht die Gefahr für Herzerkrankungen, Depressionen, Essstörungen und den Abbau kognitiver Fähigkeiten.
Drei Stolperfallen gibt es im Fluss unseres Lebens: Da sind unsere wilden Zwanziger mit ihren mitreißenden Gefühlen und der ersten großen Beziehung. Dann kommen in unseren Dreißigern mit den ersten Kindern die ersten Problem-Brocken, die es zu umschiffen gilt. Und sind sie irgendwann ausgezogen, herrscht Ebbe im Beziehungsnest mit zwei auseinandergelebten Partnern.
Für diese drei Phasen geben wir im Folgenden die besten Tipps aus der Paarforschung. Allen voran: John und Julie Gottman, seit mehr als 35 Jahren selbst ein glückliches Paar. Sie haben Paare nicht nur auf die Couch gebeten, sondern in das „Love Lab“ an Kabel angeschlossen, um zu ergründen, was in den Gehirnen von Liebenden passiert.
Love Lab
Seit 1986 beobachten John und Julie Gottman Paare in ihrem Ehelabor („Love Lab“) in Seattle (USA). Tausende von Frauen und Männern haben sie seitdem per Videokamera analysiert; ihren Kommunikationsstil, ihre Mimik und Gestik erfasst, ihren Herzschlag gemessen und die Ergebnisse in Bestsellern veröffentlicht. Mittlerweile können sie treffend vorhersagen, wer glücklich sein oder in ein paar Jahren getrennt sein wird.
Liebe auf den ersten Blick, jedes Mal leidenschaftlicher Sex und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage: Filme und Romane zeichnen ein unerreichbares Bild der ersten Beziehung, monieren Paarforscherinnen und -forscher. An diesen Idealen würden viele Beziehungen scheitern. In der Realität kopieren wir oft das Bindungsverhalten aus unserer Kindheit. Unsere Eltern nehmen wir quasi mit ins Bett. Hatten wir einen ständig abwesenden Vater, versuchen wir auch in der Beziehung zu gefallen – hatten wir eine überpräsente Mutter, suchen wir auch in der Beziehung ständig das Weite und wollen keine zweite „Klammer-Mama“.
Junge Menschen tun gut daran, diese Kindheitsmuster zu reflektieren und mit Hilfe einer Therapie „aufzuräumen“, wie es Paula Lambert nennt. Sie hat den Podcast „Paula Lieben lernen“, in dem wöchentlich vor allem Frauen ihre unglücklichen Beziehungen mit der Psychologin besprechen. Quasi eine öffentliche Psychotherapiesitzung. Ihr wichtigster Tipp: Bevor wir Beziehungen eingehen und sogar Kinder bekommen, sollten wir uns mit uns selbst und unseren Verhaltensmustern therapeutisch auseinandersetzen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele Beziehungen in den Zwanzigern nicht an der Vergangenheit zerschellen, sondern an der Zukunft scheitern: beide nehmen viele Überstunden in Kauf, wollen zumeist Karriere machen. Vielleicht zieht ein attraktives Jobangebot in unterschiedliche Städte? Am Ende passen die Lebensentwürfe nicht zusammen.
Deshalb empfehlen Paarforschende jungen Paaren besonders, sich über ihre Erwartungen, Bedürfnisse und Ziele klar und regelmäßig auszutauschen. Und auch über Sex zu sprechen. Männer haben übrigens mehr Sex, wenn sie staubsaugen, sagt Julie Gottmann in einem Interview mit dem Magazin Spiegel. Warum Frauen glücklicher in ihren Singlejahren sind: Sie verspüren dann weniger Druck und mehr Freiheit, bestimmte Erwartungen wie etwa das erste Kind zu erfüllen, besagt die Studie der Universität Toronto. Single-Männer kämpfen hingegen mehr mit Einsamkeit. Sie sind oft schlechter als Frauen in der Lage ihre sozialen Kontakte zu pflegen, also tiefe Freundschaften aufzubauen.
In unserem Interview mit der Psychologin Inga de Vries geben wir Tipps, wie Paare besser kommunizieren und ihre Partnerschaft stärken können. Dazu gehören:
- Aktives Zuhören statt nur reagieren und sich verteidigen
- Klare Ich-Botschaften statt Du-Vorwürfe senden
- Nachfragen statt Annahmen treffen
- Unausgesprochene Erwartungen klären
- Konflikte konstruktiv lösen: Streitigkeiten als Wachstum sehen
- Nach Streits: bewusst wieder aufeinander zugehen
Laut John und Julie Gottmann brauchen Paare nach einem heftigen Streit fünf positive Erlebnisse, um wieder in die Harmonie zu finden. Ein Lächeln, Komplimente oder liebevolle Gesten. In unseren Fakten-Snacks geben wir Ihnen zehn Tipps für kreative Aktivitäten, um der Harmonie wieder auf die Sprünge zu helfen.
Die gesetzten Dreißiger: Scheidungsgrund Nummer Eins - das erste Kind
Statistiken zufolge scheitern viele Beziehungen innerhalb des ersten Jahres nach der Geburt eines Kindes, sagt Anja Gaca, Hebamme, Autorin „Von guten Eltern und glücklichen Paaren“ und selbst vierfache Mutter. Wieder kollidieren Idealbild und Wirklichkeit, Erwartungen und Enttäuschungen. Ihr wichtigster Tipp daher: „Reden, reden, reden. Und fast noch wichtiger: zuhören.“
Warum sich Paare mit Kind am häufigsten trennen:
- Neue Pflichten und Überlastung: Die Verantwortung für ein Kind kann überwältigen.
- Schlafmangel führt zu Reizbarkeit und das wiederum zu Konflikten.
- Ungeklärte Rollenverteilung: Oft fallen Paare unbewusst in alte Beziehungsmuster – sie übernimmt den Großteil der Kinderbetreuung, er schultert den Großteil des Familieneinkommens. Beides führt zu Mental Load, lesen Sie hierzu mehr in unserem Blog.
- Zu wenig Zeit für Zweisamkeit
- Zu wenig Kommunikation über Gefühle und Bedürfnisse.
Was Paaren mit Kind folglich gut tut:
- Kinderziehung und Haushaltsaufgaben klar absprechen und fair verteilen.
- Unterstützung von Familie und Freunden annehmen und sich so Freiräume für Zweisamkeit schaffen.
- Intimität bewahren: Körperliche Nähe und Zuneigung sind wichtig - besonders in stressigen Phasen.
- Gemeinsame Erlebnisse fördern die Bindung. Finden Sie Aktivitäten, die als Familie oder Paar Freude bereiten. Tipps hierzu erhalten Sie ebenfalls in unseren Fakten-Snacks.
- Neue Routinen schaffen, die sowohl den Bedürfnissen der Kinder als auch der Partnerschaft gerecht werden, empfiehlt Anja Gaca.
Dann schaden Kinder nicht dem Beziehungsglück, so Forscher der Universität Heidelberg. Aus wissenschaftlicher Perspektive sind Eltern durchaus glücklicher als Kinderlose – oft allerdings erst, wenn der Nachwuchs aus dem Gröbsten raus und ausgezogen ist. Gute Nachricht für Singles: Die Interaktion mit anderen Menschen steigert insgesamt unsere Zufriedenheit. Das müssen nicht unbedingt Kinder, sondern können auch Freunde sein, betonen die Forschenden.
Das Lebensende: Passiert da noch was im Empty Nest?
„Sag mal liebst du mich eigentlich noch?“, hat Ursula Nuber ihr Buch für Paare in den späteren Jahren genannt. „Wir glauben, wenn wir unsere Beziehung einmal auf die Schiene gesetzt haben, läuft sie von alleine. Aber das trifft nicht zu“, weiß sie aus ihren vielen Therapiesitzungen. Eine Beziehung ist wie ein Stausee. Je länger man zusammenlebt, desto mehr lagern sich Sedimente an: Kränkungen, Verletzungen, Enttäuschungen. Das Paar redet immer weniger miteinander, der Umgang wird respekt- und achtloser.
John und Julie Gottman warnen in diesem Zusammenhang vor den „vier apokalyptischen Reitern“, die Langzeitbeziehungen langsam zerstören: Kritik, Verachtung, Abwehr und „die Blockade. Zu 85 Prozent sind es Männer“, sagt John Gottmann, die in der Beziehung einfach dicht machen. Kein Anschauen, kein Kopfnicken. Nichts.
Wenn sich Paare nicht mehr streiten, erlischt das Interesse aneinander. „Wer nicht mehr kämpft, zieht sich aus der Beziehung zurück und ist am Ende sehr einsam.“ John Gottman gibt solchen Beziehungen statistisch noch vier Jahre bis zur endgültigen Trennung.
Was ältere Paare anders machen können:
- Wieder mehr auf die „Kontaktangebote“ wie kleine Gesten und Gesprächsversuche des Partners eingehen. Erfolgreiche Paare tun dies 85 Prozent ihrer Zeit. „Hör mal, was ich gerade in der Zeitung gelesen habe…“ – „Ach, das ist ja interessant.“
- Negatives Verhalten reparieren und Verantwortung für den eigenen Anteil am Problem übernehmen. „Entschuldigen Sie sich aufrichtig.“
- Zuneigung und Bewunderung aussprechen und damit die Liebe pflegen: Zum Beispiel durch regelmäßige Wertschätzung, Respekt und Dankbarkeit.
- Den anderen als eigenständigen Menschen sehen: „Das sorgt auch dafür, dass man neugierig aufeinander bleibt und nicht mit dem anderen so umgeht, als er ein Möbelstück, das schon immer da steht“, rät Ursula Nuber. Auch für ältere Paare empfehlen wir unsere Fakten-Snacks-Tipps.
Wer mit einem anderen Menschen Jahrzehnte, ja sogar mehr die Hälfte des eigenen Lebens zusammen ist, hat eine gemeinsame Welt erschaffen und seinen „Lebensmenschen“ gefunden. Gemeinsame Erinnerungen, Erlebnisse, gemeisterte Krisen, überstandenen Bedrohungen, erbrachte Leistungen – das sei ein großer Schatz, für den wir gegenseitige Dankbarkeit fühlen sollten, empfiehlt Ursula Nuber auf Basis ihrer Gespräche mit Langzeitpaaren.
Und diesen Schatz gelte es zu pflegen und zu bewahren. Denn: „Wie groß dieser Schatz eigentlich ist, merken manche Menschen leider oft erst dann, wenn es diese Welt nicht mehr gibt, sei es wegen Trennung oder Tod.“ Bevor es also zu spät ist, lieber den Stausee pflegen und ein wenig sprudelnde Leidenschaft zurückbringen.
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