Interview: Kommunikation & Konfliktlösung in Partnerschaften – Expertin de Vries im Gespräch

Was sind denn die häufigsten Kommunikationsfehler in Partnerschaften?

Frau de Vries: Einer der häufigsten – und gleichzeitig unterschätzten – Fehler ist, dass wir zwar antworten, aber nicht wirklich zuhören. Viele Menschen hören nicht mit dem Ziel zu, zu verstehen – sondern um zu reagieren oder ihre eigene Sicht zu verteidigen. Hinzu kommt, dass wir häufig Annahmen über die Absichten des anderen machen, ohne nachzufragen. Das schafft Missverständnisse. Und dann gibt es noch die unausgesprochenen Erwartungen – sie sind ein Klassiker im Alltag vieler Paare und führen immer wieder zu Frust, weil sie selten erfüllt werden, wenn sie nicht klar formuliert sind.

Wieso können Missverständnisse trotz guter Absichten entstehen?

Frau de Vries: Weil wir immer durch unsere persönliche Brille wahrnehmen – geprägt von Erfahrungen, Werten, Überzeugungen, Emotionen und alten Verletzungen. Dieser innere Filter sorgt oft dafür, dass Botschaften nicht so ankommen, wie sie gemeint waren. Obwohl wir das Beste füreinander wollen, sprechen wir oft in unterschiedlichen Sprachen – und wundern uns, warum der andere uns nicht versteht. Genau hier braucht es Achtsamkeit und die Bereitschaft, nachzufragen statt zu interpretieren.

Welche Rolle spielen unausgesprochene Erwartungen in Konflikten?

Frau de Vries: Eine sehr große. Denn was ich nicht ausspreche, kann mein Gegenüber nicht wissen – und trotzdem halte ich es ihm oder ihr oft unbewusst vor. Das erzeugt Druck und Enttäuschung. Transparente Kommunikation ist daher essenziell. Nur wenn ich meine Wünsche, Grenzen und Bedürfnisse klar formuliere, kann mein Gegenüber darauf reagieren – und wir vermeiden diese stillen Konflikte, die über die Zeit so viel Nähe kosten.

Wie können zwei Menschen lernen, einander wirklich zuzuhören?

Frau de Vries: Indem sie sich bewusst dafür entscheiden, mit voller Präsenz da zu sein. Aktives Zuhören bedeutet: Ich bin nicht im Kopf schon bei meiner Antwort, sondern beim Gegenüber. Es hilft, das Gehörte in eigenen Worten zu spiegeln, z. B.: „Habe ich dich richtig verstanden, dass…?“ Das schafft Klarheit und Verbindung. Wichtig ist auch ein störungsfreier Rahmen: keine Ablenkung durch Handy oder Fernsehen – echte Aufmerksamkeit ist ein Geschenk.

Welche Techniken helfen dabei, schwierige Gespräche konstruktiv zu führen?

Frau de Vries: Eine der wirkungsvollsten Techniken ist das Sprechen in Ich-Botschaften. Anstatt z.B. zu sagen „Du lässt mich immer warten.“- was dann häufig als Vorwurf wahrgenommen wird -, ist es hilfreicher zu formulieren: „Ich bin frustriert, wenn ich so lange warten muss, weil ich dann das Gefühl habe, dass meine Zeit nicht wertgeschätzt wird.“. So bleiben wir bei uns und vermeiden Schuldzuweisungen. Auch das Benennen konkreter Bedürfnisse und lösungsorientiertes Denken sind entscheidend. Es geht nicht darum, wer recht hat – sondern darum, gemeinsam einen Weg zu finden, der beiden gerecht wird.

Wie können Paare Kritik äußern, ohne den anderen zu verletzen?

Frau de Vries: Indem sie unterscheiden: Verhalten ist veränderbar – Persönlichkeit nicht. Es ist ein großer Unterschied, ob ich sage: „Du bist immer so unzuverlässig.“ oder: „Es hat mich verletzt, dass du unser Treffen verschoben hast.“ Letzteres öffnet den Raum für Verständnis, während die erste Aussage meist sofort in die Verteidigung führt. Kritik darf ehrlich sein – aber immer verbunden mit Respekt und Wertschätzung.

Welche Methoden helfen, Eskalationen in Konflikten zu vermeiden?

Frau de Vries: Die wichtigste Fähigkeit ist Selbstregulation. Wer merkt, dass die eigenen Emotionen überkochen, darf sich eine Pause nehmen, um durchzuatmen und wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Das ist kein Rückzug, sondern ein Akt der Verantwortung. Wenn wir ruhig bleiben, können wir bewusster reagieren – und das Timing für ein Gespräch besser wählen. Auch kleine Vereinbarungen wie „Lass uns erst sprechen, wenn wir beide etwas runtergekommen sind.“ können hilfreich sein.

Wie kann ein Paar nach einem Streit wieder zueinanderfinden?

Frau de Vries: Indem der Konflikt nicht unter den Teppich gekehrt wird, sondern nachbesprochen wird. Was hat mich wirklich verletzt? Was war mein Bedürfnis dahinter? Das offene Teilen dieser Ebenen ist heilsam. Ein weiterer Schritt ist die Fähigkeit zur aufrichtigen Entschuldigung – nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus echter Verantwortung für das, was zwischen einem Paar passiert ist. Wer das kann, baut Vertrauen auf – auch nach einem Sturm.

Welche positiven Aspekte können Konflikte für eine Beziehung haben?

Frau de Vries: Konflikte sind nicht das Problem – sie sind der Zugang zu Wachstum. Wenn Paare lernen, durch Konflikte hindurchzugehen, anstatt ihnen auszuweichen, vertieft sich ihre Beziehung. Sie verstehen sich besser, entwickeln neue Kommunikationsformen und wachsen an- und miteinander. Eine Beziehung ohne Konflikte ist oft keine Verbindung in Tiefe – sondern eine Vermeidung von Ehrlichkeit. Wo jedoch Konflikte achtsam ausgetragen werden dürfen, entsteht echte Nähe und emotionale Sicherheit.

Redaktion: Vielen Dank, Frau de Vries, für diese spannenden Einblicke!

Frau de Vries: Ich danke Ihnen – es ist mir ein Anliegen, Paaren Mut zu machen, über sich hinauszuwachsen – gerade dort, wo es unbequem wird. Denn genau da beginnt oft die tiefste Verbindung.