Black Box Schlaf: Wie wir in jedem Alter besser schlafen
Eine beliebige Nachrichtensendung zurzeit am frühen Abend. Erderwärmung: Die Klimaziele werden immer unerreichbarer. Deutsche Wirtschaft: Weitere Entlassungswellen drohen. Krieg in der Ukraine: Leichen am Straßenrand werden verpixelt gezeigt.
Bei all den düsteren Nachrichten auf der Welt – wen wundert es, dass wir Deutschen immer schlechter schlafen? Unsere Schlafmenge und -qualität nehmen ab. Unsere Sorgen und Schlafprobleme nehmen zu. Wie dies zusammenhängt, hat eine Auswertung der KKH ergeben.
Schlafstörungen
Laut Daten der Kaufmännische Krankenkasse stieg die Zahl der ambulanten Diagnosen psychisch bedingter Schlafstörungen von 2014 auf 2024 bundesweit um gravierende 73,5 Prozent. Von 2023 auf 2024 allein um rund neun Prozent. Damit sind die Fälle nicht nur auf dem höchsten Stand seit Beginn der KKH-Erhebung im Jahr 2014, sondern von 2023 auf 2024 auch am stärksten innerhalb eines Jahres gestiegen. Vor allem die Generation Z leidet unter Schlafproblemen. Einer der Hauptgründe: Einschlaf- und Durchschlafstörungen sowie Albträume und Angstträume, die durch hohe psychische Belastungen entstehen.
Die Unruhen der Welt sind längst in unseren Schlafzimmern angekommen. Der Hauptgrund fürs nächtliche Wachliegen und Herumwälzen sind Sorgen, Beziehungsprobleme, Stress im Beruf und unerledigte Aufgaben. Das hat eine Umfrage vom Juli dieses Jahres unter den KKH-Versicherten ergeben. Deshalb widmen wir uns in dieser Newsletter-Ausgabe der Frage, wie wir unseren Schlaf verbessern können. Nicht nur die 20- bis 29-Jährigen schlafen schlecht. Auch die Menschen in den Dreißigern und die über 60-Jährige finden immer schwerer in den Schlaf.
Unser Schlaf – nach wie vor eine Black Box
Im Folgenden geben wir individuelle Schlaftipps für jede Altersklasse. Denn Schlaf ist für ein gesundes Leben genauso wichtig wie die Ernährung und Fitness, sagen Schlafforscherinnen und -forscher. Dichter haben einst den Schlaf zärtlich den „kleinen Tod“ getauft. In völliger Dunkelheit macht unser Körper Pause, liegt regungslos da, während unser Verstand ins Traumreich abdriftet. Und diesen „kleinen Tod“ müssen wir tatsächlich so regelmäßig und ausführlich wie möglich sterben. Denn wer besser schläft, ist später tot, besagt die Schlafforschung.
Es sei falsch, dass die Gesellschaft zu viel Schlaf mit Faulheit gleichsetzt, meint daher zum Beispiel der US-amerikanische Schlafforscher Matthew Walker. Im Gegenteil. Während unseres Schlafs läuft unser Gehirn auf Hochtouren, baut giftige Eiweiße ab, bekämpft Krebs und entspannt unser Herz-Kreislauf-System.
Auch ältere Menschen brauchen nicht weniger Schlaf als Jüngere. Das ist ein Mythos. Umso mehr verwundert es, dass wir über die Vorteile des Schlafs für unsere Gesundheit viel weniger wissen als über die Benefits einer gesunden Ernährung und regelmäßige Fitness. Was genau passiert im Gehirn während unseres Schlafs? Warum träumen wir? Unser Schlaf gleicht einer „Black Box“. Bringen wir also Licht ins Dunkle.
Schlaf-Hacks im jungen Erwachsenenalter
Die folgenden Tipps gelten für alle Altersklassen, aber für junge Erwachsene ganz besonders. In unseren Fakten-Snacks geben wir ergänzend Tipps auf Basis der jüngsten Schlafforschung und Schlaftrends.
„Bedrotting“ nennt sich ein TikTok-Trend: Junge Menschen verbringen den ganzen Tag im Bett und Pyjama. Nur fürs Essen schleichen sie sich in die Küche, und eingekuschelt in die Bettdecke schauen sie alle Folgen ihrer Lieblingsserie. Am Ende ist das Schlafzimmer zugemüllt, der Tag-Nacht-Rhythmus im Eimer und das Wochenende dahin. Kein Wunder, dass Schlaf-Experten diesem Trend wenig abgewöhnen können. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass vor allem jüngere Menschen oft zu wenig schlafen und über ihre körperlichen Reserven leben, sagt die österreichische Schlafforscherin Birgit Högl. Irgendwann holt sich der Körper dann seinen Ruhebedarf. Zum Beispiel in Form von Bedrotting.
In unseren Zwanzigern machen wir unsere Ausbildung, Karriere und nicht selten die Nacht zum Tag. Auch junge Erwachsene benötigen sieben bis neun Stunden Schlaf pro Nacht. „Frauen brauchen bis zu eine Stunde mehr Schlaf als Männer“, betont sogar die Autorin des Buchs „Besser schlafen“. Das liegt an hormonellen und neurologischen Unterschieden. Ob es daran liegt, dass Frauen mehr Multi-Tasking betreiben und damit mehr Gehirnareale nutzen, das bestreiten Wissenschaftler. Vor allem männliche.
Doch zu wenig Schlaf rächt sich: Wir sind weniger leistungsfähig, anfälliger für Erkrankungen und negative Emotionen bis hin zu Depressionen. Daher folgende Tipps:
1. Feste Aufstehzeiten einhalten: Högl empfiehlt, jeden Tag zur gleichen Zeit aufzustehen, um den Schlaf-Wach-Rhythmus zu stabilisieren. Das klingt langweilig, sollten aber auch jüngere Menschen machen, die Probleme mit dem Einschlafen haben.
2. Sechs Stunden und weniger reichen nicht: Viele junge Menschen glauben, mit weniger als sechs Stunden Schlaf auszukommen. Das reiche nicht aus, warnt Högl und sei langfristig schädlich. Wir müssen aufhören uns damit zu brüsten, mit wenig Schlaf auszukommen.
3. Optimale Schlafumgebung schaffen: Ein Schlafzimmer muss gut abgedunkelt sein. Die günstigen Rollos für die erste eigene Wohnung reichen oft nicht aus, besser sind Verdunkelungsvorhänge oder Schlafmasken. Auch ein kühles Schlafzimmer (18 bis 20 Grad) ist entscheidend. Dann findet unser Körper leichter in den Schlaf.
4. Keine Panik beim Einschlafen machen: Wenn wir uns zu sehr aufs Einschlafen fixieren, klappt es meist nicht. Besser: den Druck rausnehmen. Und…
5. Nach zehn Minuten: „Wenn Sie länger als zehn Minuten wach liegen, gehen Sie raus aus dem Bett und tun Sie etwas, das Sie nicht stresst.“ Lesen, aufräumen, Wäsche zusammenfalten.
Schlaftipps für Eltern
Die Natur hat uns fürs Elternsein gemacht. Mit einem schreienden Säugling nachts nicht durchschlafen können, von Kleinkindern penetrant morgens geweckt zu werden – wir bekommen zwar tiefe Augenringe, aber überleben es. Säuglinge haben noch keinen Tag-Nacht-Rhythmus, leichter fällt ihnen das Einschlafen, wenn sie Nähe zu den Eltern haben. Und junge Eltern dürfen sich nicht stressen, wenn ein Kind nur elf Stunden täglich braucht, das andere aber bis zu 20 Stunden. Der Schlafbedarf von Kindern ist höchst individuell. Sollte es auf Dauer mit dem Schlafen nicht klappen, gibt es Organisationen, die Beratungen für Eltern anbieten, welche die Bindung zum Säugling und den Schlaf verbessern.
Kleinen Kindern (und der gesamten Familie) tut es gut, wenn es feste Einschlafrituale und -zeiten gibt. Der Kinderarzt und Autor Remo Largo erklärt, dass kleine Kinder durch Rituale und eine klare Struktur besser schlafen können. Zur Not hilft auch das Kuscheltier als Bettgenosse.
Eltern sollten ihre eigenen Schlafbedürfnisse nicht hintenanstellen. Hier hilft „Schichtarbeit“ zwischen den Partnern. Wer gerade Pause hat, darf ein kurzes Nickerchen am Tag machen. Bei anhaltenden Schlafproblemen im Eltern-Schlafzimmer und mit dem „Co-Sleeper“ sollten Eltern nicht zögern, den Kinderarzt oder eine Schlafberaterin aufzusuchen. Ja, das ist tatsächlich ein Beruf.
Schlaftipps für Senioren: Der Körper stellt sich um
Östrogen- und Testosteron nehmen ab, der Rücken schmerzt umso mehr, nachts kommen Hitzewallungen: Älterwerden ist nichts für Feiglinge, scherzt der Volksmund. Von den Hitzewallungen wachen wir schweißgebadet auf, nächtliche Toilettengänge nehmen zu und die Matratze ist entweder zu weich oder zu hart – doch in Wahrheit ist der lädierte Rücken das Problem.
Schlafforscherin Birgit Högl sagt, dass Schlafstörungen bei älteren Menschen, insbesondere bei Frauen häufig auftreten. Grund sind die hormonellen Veränderungen, die zu verkürzten Tiefschlafphasen führen. Sie bekräftigt, dass ältere Menschen genauso viel Schlaf brauchen wie Jüngere. Der US-amerikanische Schlafforscher Matthew Walker pflichtet ihr bei: Sieben bis neun Stunden brauchen wir ebenfalls im Alter, haben jedoch Schwierigkeiten, diese zu erreichen. Denn das Gehirn kann weniger den guten tiefen Schlaf erzeugen.
Warum denken dennoch so viele, dass sie mit den späteren Jahren weniger Schlaf brauchen? Weil sich unsere innere Uhr („circadianer Rhythmus“) verschiebt. Ältere Menschen werden früher müde und früher wach. Deshalb gilt im Alter umso mehr:
· Ein konstanter Schlafrhythmus hilft: Jeden Tag zur gleichen Zeit ins Bett gehen und aufstehen. Auch am Wochenende.
· Tageslicht nutzen: Sonnenlicht am Morgen und Nachmittag nützt, die innere Uhr zu regulieren.
· Entspannungs- und Einschlafrituale pflegen: Lesen, Musik oder einen Podcast vor dem Einschlafen fördert die Entspannung. Der Körper stellt sich auf den Schlaf ein.
· Nickerchen tagsüber vermeiden: Dann hat der Körper genügend „Schlafdruck“ für die Nacht.
Aber was ist nun mit unserem vielen psychischen Gründen für das Wachliegen? Mit unseren Sorgen, unerledigten Aufgaben, Stressphasen im Beruf? Hier raten Schlafforscherinnen und -schlafforscher diese möglichst nicht mit ins Bett zu nehmen:
· Journaling nutzen: Schreiben Sie Ihre Sorgen auf. Damit gehen negative Gedanken aus dem Kopf aufs Papier über. Faustregel hier: „Overthinking“ bewusst stoppen, zum Beispiel indem wir nach dem Aufschreiben einen klaren Riegel vorschieben oder bewusst im Kopf auf Gedankenreise gehen und uns zum Beispiel an den Strand einer Südseeinsel träumen.
· Grübeln verlagern: Sorgen haben ihre Berechtigung. Wir müssen nun mal nachdenken, reflektieren und zu einer Entscheidung finden. Aber oftmals hetzen wir durch unseren Tag und betäuben uns abends mit Fernsehunterhaltung. Dann platzen die Gedanken in den einzigen stillen Minuten unseres Tages hinein: vor dem Einschlafen. Besser: Den Gedanken Raum geben. Bei einem Abendspaziergang, beim Reflektieren mit einer Freundin oder einem guten Freund. Oder beim Meditieren.
· Stress runterpegeln: Mit unserem digitalen Präventionspartner 7Mind unterstützen wir Versicherte, ihre Gedanken zur Ruhe zu bringen. Von Stressmanagement bis Erholsamer Schlaf: Hier lesen Sie mehr.
· Schlafcoach suchen: Schlafcoaches oder Psychotherapeutinnen und -therapeuten können gezielte Strategien entwickeln, um Stress und Schlafprobleme zu bewältigen.
Bleibt noch als letzter Punkt offen: Warum träumen wir eigentlich? Und warum haben wir Albträume? Ein letztes Mal Schlafforscherin Birgit Högl: „Der Traumschlaf ist absolut notwendig für verschiedene Funktionen des Gehirns. Außerdem werden einschneidende Erlebnisse im Traum bearbeitet und bewältigt.“
Und dann ergänzt sie noch eine interessante Theorie ihres finnischen Kollegen Antti Revonsuo: „Er meint, dass Träume dazu dienen, Bedrohungssituationen zu üben, damit man sie besser übersteht, wenn sie in der Realität einmal eintreten sollten.“ Der Schlaf als Übungsfeld – auch eine lebensverlängernde Maßnahme.
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