Soziale Pflegeversicherung (SPV)
Die Finanzlücke muss dringend geschlossen werden
Analog zur Gesundheitsversorgung ist auch die zukünftige Sicherstellung und Finanzierung der Pflege eine enorme Herausforderung für die politischen Entscheidungsträger. Schon jetzt ist die Finanzierung der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) defizitär. Die Leistungsausgaben stiegen in den vergangenen Jahren von 45,6 Mrd. € im Jahr 2020 auf 50,23 Mrd. € im Jahr 2021. Für das laufende Jahr prognostizierte der GKV-SV eine strukturelle Finanzierungslücke von 2,3 Mrd. €, die durch pandemiebedingte Mehrkosten noch auf 3,5 Mrd. € steigen könnte. Durch die jetzt greifende Neuregelung der prozentualen Zuschüsse zu den Eigenanteilen könnte diese Lücke nochmals anwachsen. Auch wenn das BMG durch pandemiebedingte Sonderzuschüsse und Vorabzahlungen das diesjährige Defizit abmildern konnte, hakt die Finanzierung grundsätzlich an strukturellen Problemen, die sich in Zukunft weiter verstärken werden. Neben einer wachsenden Zahl an Pflegebedürftigen, bedingt durch den demografischen Wandel, ist auch eine Kostensteigerung durch die zunehmende Professionalisierung in der pflegerischen Versorgung zu erwarten. Steigende Löhne in den Pflegeberufen und allgemeine Preissteigerungen im Betrieb von Pflegeinrichtungen und -diensten werden die SPV zukünftig zusätzlich finanziell belasten. Gernot Kiefer, Vorstandsvorsitzender des GKV-SV, kündigte vor Kurzem eine notwendige Beitragssatzsteigerung um 0,35%-Punkte zur Absicherung der Pflegefinanzierung bis Ende 2024 an, sofern die Politik die Finanzierung der SPV nicht anderweitig, etwa über ausreichende Bundeszuschüsse, regelt. Das würde einen regulären Beitragssatz in Höhe von 3,4 % bzw. in Höhe von 3,75 % für Kinderlose bedeuten. Angesichts der zunehmenden finanziellen Belastungen der Bürger in anderen gesellschaftlichen Bereichen, etwa durch Inflation oder Energiepreissteigerungen, aber auch durch die vorgesehenen Beitragssteigerungen in der GKV, dürfte dieses Thema eine hohe politische Brisanz aufweisen. Die Finanzlücke der SPV muss dringend geschlossen werden. Ansatzpunkte für eine Finanzierungsreform gibt es einige.
Im Koalitionsvertrag kündigt die Ampel-Koalition eine moderate Anhebung des Beitragssatzes der SPV an. Erst zu Beginn des Jahres 2022 wurde der Beitragssatz für Kinderlose in der SPV um 0,35%-Punkte auf nunmehr 3,4 % angehoben. Dazu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber mit einem Urteil verpflichtet hat, Beiträge von Eltern in der SPV abhängig von der Zahl der von ihnen betreuten und erzogenen Kinder auszugestalten. Der mit steigender Kinderzahl anwachsende Erziehungsmehraufwand müsse im geltenden Beitragsrecht Berücksichtigung finden. Eine finanzielle Entlastung kinderreicher Eltern kann mit der aktuellen Einnahmesituation jedoch nicht finanziert werden. Die Anpassung der Beitragssätze ist also unausweichlich, aber reicht sie auch aus, die Kosten der SPV zu decken?
- Eine moderate Erhöhung der Beitragssätze kann zwar kurzfristig den Finanzhaushalt der SPV entlasten, bietet aber keine mittel- oder langfristige Lösung. Um das Leistungsniveau in der Pflege auf Dauer stabil zu halten, sind weiterführende und grundlegende Lösungsansätze zur Finanzierung notwendig. Um auch in Krisensituationen, wie sie etwa die Covid 19-Pandemie darstellt, den besonderen Anforderungen finanziell gewachsen zu sein, befürwortet die KKH außerdem den Aufbau von finanziellen Rücklagen in der SPV.
Um das aktuelle Defizit auszugleichen, hat der Bund die SPV in diesem Jahr mit rund 1,8 Mrd. € bezuschusst. Zudem soll der SPV zum Schließen weiterer Liquiditätslücken ermöglicht werden, Darlehen bis zu jeweils einer Mrd. € beim Bund aufzunehmen, die allerdings spätestens bis zum Ende des folgenden Haushaltsjahres zurück gezahlt werden müssten. Dieses Vorgehen verschiebt die finanzielle Belastung der SPV jedoch nur nach hinten und löst nicht das grundsätzliche Finanzierungsproblem.
- Die KKH fordert eine verlässliche Finanzierung der Sozialen Pflegeversicherung. Die Ausgestaltung der Pflege darf nicht nach Kassenlage erfolgen. Die Pflegekassen benötigen Planungssicherheit, um kurzfristige Beitragssatzsteigerungen zu vermeiden. Dazu muss der Steuerzuschuss an Leistungsausgaben orientiert und dauerhaft verstetigt werden.
Die unzureichende Übernahme von Investitionskosten durch die Länder bleibt sowohl bei den Kliniken als auch bei den stationären Pflegeeinrichtungen ein Dauerthema. Bedauerlicherweise ist im Koalitionsvertrag die ursprünglich angestrebte Beteiligung des Bundes an den Investitionskosten entfallen. Das bedeutet, dass wahrscheinlich auch zukünftig Investitionslücken bestehen bleiben. Die Länder kommen ihrer im SGB XI festgeschriebenen Aufgabe zur Förderung von Investitionskosten meist nicht nach. Für die Finanzierung der Pflege ist das fatal. In den Pflegeeinrichtungen werden, ähnlich wie in den Krankenhäusern, Finanzierungen der Investitionen häufig über Leistungseinnahmen querfinanziert. Das geht zulasten der Qualität der pflegerischen Versorgung und untergräbt das Solidaritätsprinzip der SPV.
- Investitionskosten sollten nicht zulasten der Pflegebedürftigen finanziert werden. Die Bundesländer müssen ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen und die Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen endlich verbindlich übernehmen. Durch eine rechtsverbindlich ausgestaltete Verpflichtung der Länder zur Übernahme der Investitionskosten im SGB XI würde die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen kurzfristig deutlich gesenkt.
Mit den Investitionen verknüpft ist auch die bisher vernachlässigte Digitalisierung der Pflegeeinrichtungen. Der Koalitionsvertrag der Ampel verspricht zwar, die Digitalisierung in der Pflege „zur Entlastung bei der Dokumentation, zur Förderung sozialer Teilhabe und für therapeutische Anwendungen“ zu nutzen. Die Finanzierungsverantwortung bleibt jedoch im Unklaren.
- Investitionen müssen auch dauerhaft in die Digitalisierung der Pflege fließen. Hier liegt enormes Potenzial, bspw. durch die Umstellung auf elektronische Datenprozesse, Pflegekräfte von Bürokratie zu entlasten. Das Pflegepersonal könnte kosteneffizienter eingesetzt werden und sich wieder mehr der eigentlichen pflegerischen Versorgung widmen.
Entlastungspotenzial der SPV besteht auch in der Übernahme versicherungsfremder Leistungen durch den Bund. Die SPV finanziert derzeit unter anderem Sozialversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige in Höhe von 3,3, Mrd. €, eine eindeutig gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Regierungsparteien schlagen eine Übernahme der Kosten für die medizinische Behandlungspflege in stationären Pflegeeinrichtungen durch die GKV vor, was lediglich eine Verschiebung der Kosten zwischen zwei Sozialversicherungszweigen bedeutet, zumal beide Systeme vor immensen finanziellen Herausforderungen stehen.
- Der Bund muss Verantwortung für gesamtgesellschaftliche Aufgaben übernehmen. Auch wenn diese in der SPV nicht eine derart große Rolle wie in der GKV einnehmen, müssen versicherungsfremde Leistungen verlässlich und dauerhaft über Steuern finanziert werden, um das System der Pflege sozialer und gerechter zu gestalten. Eine Verlagerung der Kostenübernahme für die medizinische Behandlungspflege in die GKV lehnt die KKH ab. Das würde lediglich die Kosten zwischen den zwei Sozialversicherungszweigen verschieben und zusätzlichen Bürokratieaufwand durch ärztliche Verordnungen und Genehmigungspflichten durch die Kassen verursachen.
Angesichts der zukünftigen Herausforderungen für die Sozialsysteme muss auch die grundsätzliche Ausgestaltung und Finanzierung der SPV auf den solidarischen Prüfstand. Im Bereich der Pflege zeigt sich eine besonders große Diskrepanz im Bereich der Risikoselektion zwischen der privaten und der sozialen Pflegeversicherung. Das umlagefinanzierte System der SPV kann nur funktionieren, wenn alle Einkommens- und Risikogruppen einbezogen werden. Hier bedarf es einer gesellschaftlichen Debatte, wie die Pflegeversicherung zukünftig ausgestaltet werden soll.
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