Neuausrichtung der Pflegeabsicherung
Alternative Versicherungsmodelle sind unerlässlich
Die wachsenden Schwierigkeiten in der Finanzierung der pflegerischen Versorgung lassen immer wieder die Diskussion um eine generelle Neuausrichtung der Pflegeabsicherung aufflammen. In den Industrieländern zeigen sich zwei grundsätzliche Strömungen der Absicherung von Pflegerisiken: das Beveridge-Modell, also eine steuerfinanzierte Absicherung der Pflege ohne Versicherungspflicht und mit einem pauschalen Leistungsangebot für alle Einkommensklassen, und das Bismarck-Modell, also eine Finanzierung über einkommens- und erwerbsabhängige Sozialversicherungsbeiträge und gleichem Leistungsanspruch für alle Versicherten. Außerdem spielt die private Vorsorge in unterschiedlichem Maße eine Rolle.
Deutschland entschied sich 1995 für die Einführung einer Versicherungspflicht, um den steigenden Pflegerisiken der Bevölkerung und einer vermehrten Inanspruchnahme der sozialen Grundsicherung im Pflegefall zu entgegnen. Dabei folgte man dem bismarckschen System der Umlagefinanzierung in der GKV, mit der Besonderheit, dass auch privat Versicherte einer Versicherungspflicht innerhalb der Privaten Pflegeversicherung (PPV) unterliegen. Ein Papier des Wissenschaftlichen Instituts der PKV kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland im OECD-Vergleich zu den Ländern mit den niedrigsten Pflegeausgaben sowohl in Relation zum BIP - als auch in Bezug auf den hochbetagten Bevölkerungsanteil - gehört. Beispielsweise liegt in Schweden und den Niederlanden der Anteil der Pflegeausgaben am BIP fast viermal höher als in Deutschland. Man muss also feststellen, dass die Pflege hierzulande einen vergleichsweise geringen Stellenwert hat und zunehmend reformbedürftig wird. Sollten Finanzierungsreformen ausbleiben, würde dies zu einem immer weiter steigenden Eigenanteil der Pflegebedürftigen führen, um die anwachsenden Kosten aufzufangen. Schon jetzt liegt der durchschnittliche Eigenanteil an der stationären Pflege bei 2.179 € - ein Betrag der viele Betroffene überfordert und eine große Anzahl Pflegebedürftiger in die Sozialhilfe drängt. Da eine Abkehr vom grundsätzlichen Modell der Umlagefinanzierung die Ungerechtigkeiten eher verstärken könnte, stellt sich die Frage, ob ergänzende Elemente wie private Zusatzvorsorge oder Kapitaldeckung die Pflegeversicherung für die Zukunft besser aufstellen können. Dieser Problematik haben sich anscheinend auch die politisch Verantwortlichen angenommen, denn im Koalitionsvertrag werden einige der angesprochen Punkte thematisiert.
Die Eigenanteile in der stationären Pflege sollen begrenzt und planbar gemacht werden. Die aktuelle Regelung zu prozentualen Zuschüssen zu den Eigenanteilen wird zu Recht als nicht ausreichend betrachtet. Neben den bereits oben genannten Maßnahmen der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen über Steuermittel und dem Ausgleich der Behandlungspflege durch die GKV soll geprüft werden, wie der Eigenanteil weiter abgesenkt werden kann. Entlastung soll unter anderem das Herauslösen der Ausbildungskostenumlage aus den Eigenanteilen schaffen.
- Die Herausnahme der Ausbildungskosten aus den Eigenanteilen ist zu begrüßen und kann zu einer finanziellen Entlastung der Pflegebedürftigen beitragen. Kurzfristig könnte auch eine einmalige Anhebung der Leistungsbeträge nach SGB XI die Pflegebedürftigen bei den Eigenanteilen entlasten. Die genannten Punkte können jedoch nur mittelfristig finanzielle Erleichterung schaffen. Um die Eigenanteile langfristig finanzierbar zu gestalten, braucht es grundlegende Reformen.
Um das Risiko eines nicht finanzierbaren Eigenanteils abzusichern, will die Ampel-Koalition auch prüfen, ob die soziale Pflegeversicherung um eine freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung zur Übernahme der vollständigen Pflegekosten ergänzt werden kann. Dazu sollen bis 2023 konkrete und generationengerechte Vorschläge vorgelegt werden, die auch die private Pflegeversicherung umfassen sollen. Hierbei handelt sich um einen grundlegend neuen Ansatz in der Pflegeversicherung.
- Grundsätzlich ist eine freiwillige und paritätisch ausgerichtete Vollversicherung zu begrüßen. Bei der Ausgestaltung muss jedoch darauf geachtet werden, dass sich der bürokratische Aufwand bei der Beitragsbemessung und bei der Festlegung des Pflegebedarfs und des Leistungsanspruchs in Grenzen hält. Außerdem dürfen Menschen mit besonders hohem Risiko, die sich insbesondere in den einkommensschwachen Gruppen finden, bei der Ausgestaltung nicht benachteiligt werden. Hier bedarf es staatlicher Zuschüsse und flexibler Ausgestaltungsmöglichkeiten für Risikogruppen. Die ausschließliche Finanzierung über Kapitaldeckungsverfahren würde Risikogruppen benachteiligen. Deshalb sollte eher ein Umlageverfahren oder eine Mischkalkulation ins Auge gefasst werden.
Eine staatliche Förderung von privaten oder betrieblichen Zusatzversicherungen lehnen große Teile der Koalition hingegen ab. Da das Pflegerisiko in der SPV etwa doppelt so hoch ist wie in der PPV, würde dies zu einer Subventionierung gut verdienender Bevölkerungsgruppen führen. Besser wäre ein solidarischer Lastenausgleich bzw. Strukturausgleich. Zwar werden in der SPV seit 2015 über 19 Jahre hinweg jeweils 0,1 % der vorjährigen Beitragseinnahmen einem Pflegevorsorgefonds zugeführt, die Größenordnung der Kapitaldeckung ist allerdings nicht ausreichend, um steigende Beiträge langfristig einzudämmen. Außerdem besteht die Gefahr, dass das Vermögen, welches bei der Bundesbank verwaltet wird, in Krisenzeiten für andere Zwecke eingesetzt werden könnte. Die PPV hingegen kann bereits Rückstellungen in Höhe von 40 Mrd. € vorweisen.
- Die derzeit relativ geringe Kapitaldeckung der SPV ist nicht in der Lage, steigende Kosten der Pflege aufzufangen und löst nicht das Problem steigender Beitragssätze und Eigenanteile. Versicherte der PPV mit gutem Einkommen und geringen Pflegerisiken beteiligen sich bisher nicht am Solidarausgleich, obwohl dies eine deutliche Entlastung einkommensschwacher und risikobelasteter Bevölkerungsgruppen bedeuten würde. Nicht zuletzt deshalb muss auch die Reformoption des Einbezugs der PPV in den solidarischen Finanzausgleich wieder auf die Agenda der politischen Diskussion gesetzt werden.
Insgesamt muss die Pflege angesichts des demografischen Wandels in der politischen und gesellschaftlichen Agenda einen höheren Stellenwert erhalten. In der Diskussion um eine solidarische und generationengerechte Ausgestaltung der Sozialen Pflegeversicherung müssen in jedem Fall neue und für die Zukunft tragfähige Wege beschritten werden. Eine weitere Verschleppung grundsätzlicher Finanzreformen wäre fatal.
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