GKV Finanzreform 2024
Griff in die Finanzreserven der Kassen beenden
Die Diskussion um den Entwurf des GKV-FinStG zeigt: Dieses politische Stückwerk reicht vermutlich nicht einmal aus, um die Finanzlücke im Jahr 2023 gänzlich zu schließen. Schon gar nicht stellt es die Weichen für eine dauerhaft verlässliche Finanzierung der GKV. Immerhin wird im GKV-FinStG die Erarbeitung einer Finanzreform im kommenden Jahr angekündigt. Die Bundesregierung bereite „weitere strukturelle Reformen für eine stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vor, die ab dem Jahr 2024 wirken sollen.“ – so bspw. die Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Dittmar in der Antwort auf eine schriftliche Frage der Unions-Bundestagsfraktion. Dabei sollen auch die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag mit einbezogen werden. Das ist auch dringend notwendig, denn die Finanzsituation wird sich durch Mehrkosten für Energie und steigende Preise durch Inflation weiter verschärfen. Eine Wirtschaftskrise könnte zudem zu erheblichen Einbrüchen auf der Einnahmenseite führen. Ein solcher Effekt zeigte sich schon im Laufe der Corona-Pandemie, die 2020 zu 4 Mrd. Euro weniger Einnahmen bei der GKV führte.
Die bereits im Koalitionsvertrag geeinten Vorhaben, die in eine grundsätzliche Finanzierungsreform einbezogen werden sollen, erscheinen vernünftig - wenn auch zu gering in ihrer Zahl. Lediglich zwei Maßnahmen sind vereinbart, die auch kurzfristig strukturell für Entlastung sorgen können. Zum einen soll der Bundeszuschuss regelhaft dynamisiert werden. Zum anderen kündigt die Ampel-Koalition höhere Beiträge für ALG II-Bezieher:innen an. Der Bundeszuschuss wurde bisher nicht anhand rechtssicherer Kriterien, wie etwa einer Legaldefinition über das Ausmaß versicherungsfremder Leistungen, festgelegt, sondern erfolgte stets nach Konjunkturlage. Ein einfaches Bundesgesetz reicht bisher aus, um die Höhe nach Bedarf festzulegen. Die Bundesregierung sichert sich damit die volle Flexibilität und verhindert eine verlässliche Finanzplanung der Kassen.
- Die KKH spricht sich dafür aus, dass das Koalitionsvorhaben einer regelhaften Dynamisierung des Bundeszuschusses auch tatsächlich Eingang in ein Reformgesetz findet. Dabei muss sich der Bundeszuschuss stärker an den tatsächlichen Ausgaben für versicherungsfremde Leistungen orientieren. Er darf nicht anhand der jeweiligen konjunkturellen Kassenlage des Bundes erfolgen. Die Kassen als Vertreter aller Beitragszahler:innen brauchen für eine verlässliche und nachhaltige Planung verbindliche Zusagen.
Auch höhere Beiträge für ALG II-Bezieher:innen sollen laut Koalitionsvertrag Eingang in ein Reformgesetz finden. Von einer kostendeckenden Finanzierung der ALG II-Beiträge ist leider keine Rede. Dabei würde diese die Beitragszahler:innen um ca. 10 Mrd. Euro jährlich entlasten.
- Das Vorhaben, die Beiträge für ALG II-Bezieher:innen anzuheben, ist grundsätzlich zu begrüßen und sollte unbedingt in einem GKV-Finanzierungsreformgesetz umgesetzt werden. Die Formulierung „höhere Beiträge“ lässt jedoch befürchten, dass die Bundesregierung ihrer Verantwortung nicht nachkommen wird, die ALG II-Beiträge vollständig und kostendeckend zu übernehmen. Eine weitere Subventionierung durch die ohnehin schon belasteten Beitragszahler:innen ist jedoch unsolidarisch und sollte vermieden werden. Diese Ausgaben gehören in eine gesamtgesellschaftliche Finanzierungsverantwortung und sind entsprechend vollständig aus Steuergeldern gegenzufinanzieren.
Die Bundeszuschüsse sollten in einem angemessenen Verhältnis zu den von der GKV mitfinanzierten versicherungsfremden Leistungen stehen. Eine immer stärker werdende Abhängigkeit von Steuermitteln ist jedoch zu vermeiden. Vielmehr ist ein angemessenes und zukunftsorientiertes Austarieren von Beiträgen und Steuern notwendig. Bedauerlicherweise enthält der Koalitionsvertrag keine Inhalte, die eine Reform der Beitragsfinanzierung betreffen. Dabei könnte gerade durch beitragsbezogene Reformmaßnahmen die GKV wieder solidarischer und finanziell stabil aufgestellt werden. Durch Reformen, wie einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, der Verbreiterung der Beitragsbemessungsgrundlage oder dem Einbezug weiterer Bevölkerungsgruppen in die GKV, könnte der Beitragssatz für alle Einzahlenden gesenkt werden. Dies würde ein krisenresilienteres System schaffen. Eine Analyse der Hochschule Fulda geht davon aus, dass durch eine Kombination der genannten Maßnahmen der Beitragssatz einmalig um bis zu 3,1 Prozentpunkte gesenkt werden könnte.
- Auch beitragsbezogene Neuregelungen sollten Eingang in die Reform der GKV-Finanzen finden. Die Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenzen sollten angehoben und die Steuerbelastung in gleichem Umfang gesenkt werden. Auch Beamten sollte der Zugang zur GKV ermöglicht, zumindest aber erleichtert werden. So können die Beitragslast solidarisch auf mehr Schultern verteilt und insgesamt die Beitragssätze gesenkt werden.
Neben der Einnahmenseite muss auch die Ausgabenseite in den Blick genommen werden. So sollte bspw. die Arzneimittelversorgung bezahlbar gehalten und der Zugang innovativer Medikamente zum GKV-Markt nicht durch Phantasiepreise gefährdet werden. Das GKV-FinStG enthält hierzu bereits gute Ansätze. Dazu gehören zum Beispiel die Geltung des rückwirkenden Erstattungspreises ab dem siebten Monat nach Marktzulassung oder die Verlängerung des Preismoratoriums für Arzneimittel bis Ende 2026. Hier besteht jedoch weit mehr Potenzial. Die politisch immer wieder diskutierte Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel und Medizinprodukte findet sich leider nicht in der Koalitionsvereinbarung wieder. Dabei würde allein diese Maßnahme die Beitragszahler:innen um weitere rund 6 Mrd. Euro entlasten.
- Im Arzneimittelbereich sollte die Bundesregierung die guten Ansätze aus dem GKV-FinStG weiterhin verfolgen und ausbauen. Der Erstattungspreis stellt einen angemessenen und wirtschaftlichen Preis dar. Es ist nicht nachvollziehbar, warum dieser dann nicht auch vom ersten Tag an gelten sollte. Das Preismoratorium für Arzneimittel sollte dauerhaft beibehalten werden. Es ist darüber hinaus nicht nachvollziehbar, warum Lebensmittel mit 7 Prozent Mehrwertsteuer besteuert werden, lebensnotwendige Arzneimittel jedoch weiterhin mit 19 Prozent. Damit steht Deutschland in Europa fast allein da. Eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel ist daher überfällig.
Klar ist, dass eine Reform der GKV-Finanzen nicht funktionieren kann, wenn nicht gleichzeitig eine Reform der stationären und ambulanten Versorgung angegangen wird. Nur so können langfristig und in relevantem Umfang Kosten auf der Seite der Leistungserbringer eingespart werden. Die medizinische Versorgung ist in Deutschland im internationalen Vergleich sehr teuer. Laut statistischem Bundesamt betrug der Anteil der Versorgungskosten am BIP im Jahr 2018 rund 11,5 Prozent - einer der höchsten Werte in Europa. Die hohen Kosten führen zu einem - im internationalen Vergleich - sehr guten Zugang zur medizinischen Versorgung. Allerdings steht Deutschland bei den Indikatoren zur Messung der Versorgungsqualität häufig nur im Mittelfeld (OECD/European Observatory on Health Systems and Policies (2021), Deutschland: Länderprofil Gesundheit 2021). Faktisch heißt das also, viel Invest mit überschaubarem Output. Hinzu kommt, dass sich Ballungsräume oft eine teure Überversorgung leisten, während in ländlichen Räumen die hausärztliche und medizinische Grundversorgung häufig unzureichend ist. Darüber hinaus könnten viele teure, stationär erbrachte Behandlungen mit gleicher Qualität und kostengünstiger in der ambulanten Versorgung durchgeführt werden.
- Die angekündigte Krankenhausreform der Bundesregierung muss zügig und symbiotisch mit der Reform der GKV-Finanzierung umgesetzt werden. Durch eine am regionalen Bedarf ausgerichtete und in Versorgungsstufen gegliederte Neuausrichtung der Krankenhausplanung kann die Versorgung wirtschaftlich effizienter und qualitativ hochwertiger gestaltet werden. Dazu gehören eine flächendeckende Grundversorgung und Spezialisierung im klinischen Sektor, die stärkere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung sowie eine Ambulantisierung von Leistungen, wo dies möglich ist.
Eine Reform der GKV-Finanzierung ist auch deshalb dringend notwendig, um den in Notlagen beliebten Griff in die Finanzreserven der Kassen zu beenden. Die gesetzlich verordnete Reduktion der Rücklagen auf ein Minimum schränkt den Handlungsspielraum der Selbstverwaltung enorm ein. Die Kassen verlieren somit ihre Flexibilität für Investitionen oder für Reaktionen auf unkalkulierbare Ausgabensteigerungen oder Zuweisungsverzögerungen, wie wir sie etwa während der Corona-Pandemie erlebt haben. Gerade in Hinblick auf die Digitalisierungsvorhaben und Versorgungsreformen der Bundesregierung brauchen die Kassen einen angemessenen finanziellen Spielraum für Investitionen und Schwankungen im Geschäftsbetrieb.
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