GKV-Finanzstabilisierungsgesetz
Ein kritischer Blick in den Gesetzesentwurf
Angesichts der bevorstehenden Finanzierungskrise der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestanden große Hoffnungen auf eine politische Lösung durch die Ampel-Koalition und das bereits lange angekündigte Gesetz zur Stabilisierung der Finanzlage der GKV. Das prognostizierte Defizit für 2023 wurde bisher auf 17 Mrd. Euro beziffert. Diese Prognose stammt jedoch noch aus der ersten Jahreshälfte. In dieser wurde das ganze Ausmaß der Energie- und Wirtschaftskrise noch nicht berücksichtigt. Steigende Energiepreise und die Inflation werden auch im Gesundheitswesen zu höheren Kosten führen als erwartet. Das Handelsblatt veröffentlichte kürzlich eine Studie der Boston Consulting Group (BCG): Sie schätzt die Finanzlücke der GKV aus den oben genannten Gründen für das Jahr 2023 bereits auf 22 Mrd. Euro. Bis 2025 könnte der Betrag auf 33 Mrd. Euro steigen. Angesichts dieser Herausforderungen erscheint der Entwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) als wahre Enttäuschung. Mit einem Konglomerat aus unabgestimmten Einzelmaßnahmen stößt es weder die dringend notwendigen grundsätzlichen Reformen an, noch löst es das kurzfristige Problem einer kostendeckenden Finanzierung der Kassen. Im Gegenteil, es könnte gar zu höheren Beitragssteigerungen, als erwartet führen und die Versorgungsqualität verschlechtern. Zudem wird es einen nachteiligen Investitionsstau bei den Kassen auslösen, der angesichts der Digitalisierungsvorhaben der Bundesregierung kontraproduktiv wäre. Ein Blick in den Gesetzesentwurf verrät, woher diese Einschätzung kommt:
Der Entwurf des GKV-FinStG versucht hauptsächlich im GKV-Bereich Einsparungen zu generieren. Das BMG geht davon aus, dass der durchschnittliche Zusatzbeitrag 2023 um 0,3 Prozentpunkte steigen muss. Der Bundeszuschuss soll 2023 lediglich um 2 Mrd. Euro auf 16,5 Mrd. Euro steigen. Darüber hinaus kann die GKV ein Bundesdarlehen in Höhe von 1 Mrd. Euro in Anspruch nehmen. Dieses muss bis spätestens 2026 zinsfrei zurückgezahlt werden. Auch die Rücklagen der Kassen bleiben nicht unangetastet. Die Obergrenze für Rücklagen wird auf 0,5 Monatsausgaben abgesenkt. Rücklagen zwischen 0,2 und 0,3 Monatsausgaben müssen zu 65 Prozent und über 0,3 Monatsausgaben zu 90 Prozent an den Gesundheitsfonds (GF) abgeführt werden. Die Obergrenze der Liquiditätsreserve des GF wird von 0,5 auf 0,25 Monatsausgaben abgesenkt. Kassen, die Rücklagen von mehr als 0,5 Monatsausgaben vorhalten, dürfen den Zusatzbeitrag ab 2024 nicht anheben.
- Aus Sicht der KKH wird der Beitragszahler der GKV mit diesem Gesetzesentwurf überproportional belastet. Insgesamt sollen die Beitragszahler:innen 12 Mrd. Euro von den fehlenden 17 Mrd. Euro stemmen. Die geplante Anhebung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags verstärkt zudem unnötig den Preiswettbewerb der Kassen und geht zulasten der Versorgungsqualität. Eine Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes der GKV würde diese Entwicklung entschärfen und in ähnlicher Weise die eingeplanten Beitragsmittel generieren. Darüber hinaus würden aber zig Millionen Informationsschreiben in Papierform vermieden und damit wertvolle Ressourcen geschützt werden. Wenn die Politik ernsthaft einen nachhaltigen Politikstil pflegen will, muss sie an dieser Stelle umdenken. Zudem würde die Anhebung des individuellen Zusatzbeitrages Wanderungsbewegungen auf Grund des Sonderkündigungsrechts erzeugen. Dies wäre aber nicht auf schlechtes Wirtschaften der einzelnen Kassen, sondern auf externe und in diesem Fall vor allem politische Entscheidungen zurückzuführen. Ordnungspolitisch unsauber! Des Weiteren ist festzuhalten, dass der Bundeszuschuss nicht ausreicht, um die Kosten versicherungsfremder Leistungen zu decken. Diese werden weiterhin zu einem großen Teil den Beitragszahler:innen aufgebürdet. Hier wäre in erster Linie eine kostendeckende Finanzierung der Beiträge von ALG II-Empfänger:innen notwendig. Die geplanten Darlehen verschieben Finanzierungsprobleme lediglich in die Zukunft. Dort verschärfen sie die finanziellen Belastungen des Systems. Die größte Herausforderung besteht jedoch im Rücklagenabbau der Kassen und des Gesundheitsfonds. Mit diesen Maßnahmen werden Investitionen und langfristige Vorhaben der Kassen verhindert. Diese werden aber von Seiten der Politik, etwa mit der Digitalisierungsstrategie des BMG, paradoxerweise gefordert.
Im Gegensatz zur GKV werden die Arzneimittelhersteller und die Leistungserbringer vom Gesetzgeber mit Samthandschuhen angefasst. Sie sollen zusammen nur rund 4,7 Mrd. Euro Einsparungen generieren.
Die Ausgaben für Arzneimittel entwickeln sich seit einiger Zeit deutlich dynamischer als andere Leistungsbereiche. Die ursprünglich geplante Solidarabgabe der pharmazeutischen Industrie von je 1 Mrd. Euro 2023 und 2024 entfällt zugunsten eines erhöhten Herstellerabschlags von 7 auf 12 Prozent im Jahr 2023 – eine Reduktion um 1 Mrd. Euro. Mit einer Vielzahl an kleineren Eingriffen sollen weitere Einsparpotenziale, die sich insgesamt auf 1,9 Mrd. Euro summieren, erzielt werden.
- Aus Sicht der KKH könnte im Arzneimittelbereich mehr Einsparpotenzial generiert werden. Im Vergleich zu den Beitragszahler:innen werden die Arzneimittelhersteller finanziell geschont. Die zahlreichen Einzelmaßnahmen sind notwendige Nachjustierungen, in ihrer Einzelwirkung aber leider zumeist nur sehr gering. Zudem wird die effiziente Nutzung von Wirtschaftlichkeitsreserven durch die verzögerte und eingeschränkte Austauschbarkeit von Biosimilars blockiert. Als legitimer und bedeutender Hebel ist zuvorderst die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel und Medizinprodukte zu nennen. Allein dadurch könnte die GKV um 6 Mrd. Euro jährlich entlastet werden.
Die Maßnahmen, welche die Leistungserbringer betreffen, fallen noch geringer aus. Die Neupatientenregelung aus dem Terminservice- und Versorgungsgesetz soll gestrichen werden. Die Gesamtvergütung in der zahnärztlichen Versorgung wird gedeckelt. Hier dürfen die Punktewerte und Gesamtvergütung nur um die um 0,75 Prozent (2023) und 1,5 Prozent (2024) geminderte Veränderungsrate der betragspflichtigen Einkommen steigen. Die Pflegekosten im Krankenhausbereich werden bereinigt. Ab 2024 werden nur noch die Kosten für qualifizierte Pflegekräfte, die unmittelbar in der Patientenversorgung auf bettenführenden Abteilungen eingesetzt werden, berücksichtigt. Insgesamt dürften alle Regelungen, die Leistungserbringer betreffen, nur zu ca. 1 Mrd. Euro Einsparungen führen.
- Positiv zu bewerten ist aus Sicht der KKH, dass Leistungskürzungen grundsätzlich vermieden werden und eine gute medizinische Versorgung der Versicherten erhalten bleibt. Angesichts der Vergütungssteigerungen im Bereich der Leistungserbringer ist es allerdings unerklärlich, warum hier nicht ähnlich dem zahnärztlichen Bereich Vergütungssteigerungen auf einem angemessenen Niveau gedeckelt werden. Abgesehen von punktuellen Maßnahmen, wie der Neupatientenregelung und dem Ausschluss der Doppelfinanzierung bei Pflegebudgets, werden die stationäre und ambulante ärztliche Versorgung sowie die Heilmittelerbringer von der solidarischen Finanzierung ausgespart.
Insgesamt ist festzuhalten, dass die im Gesetz vorgesehenen Regelungen nicht dazu geeignet sind, die Finanzlücke der GKV im Jahr 2023 gänzlich zu schließen. Insbesondere ist der weit überwiegende Teil der gehobenen Finanzreserven nur einmalig erhebbar. Der Gesetzesentwurf stellt keine nachhaltigen Lösungsoptionen bereit. Es ist bereits absehbar, dass wir im kommenden Jahr dieselbe Diskussion erneut führen werden (müssen). Zudem sind Energiepreissteigerungen sowie allgemeine Preissteigerungen durch Inflation und Wirtschaftskrise bisher nicht vom Gesetzesentwurf berücksichtigt. Langfristig wirkende Koalitionsversprechen, wie die ausreichende Beitragsfinanzierung für ALG II-Empfänger:innen und die MwSt.-Absenkung auf Medizinprodukte werden ignoriert. Das GKV-FinStG stellt somit keine langfristige und nachhaltige Lösung der GKV-Finanzsituation dar. Stattdessen führt es zu einer unsolidarischen Mehrbelastung der Beitragszahler:innen. Diese werden angesichts aktueller Preisentwicklungen sowieso schon finanziell stark belastet.
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