

E-Health & digitale Gesundheitsanwendungen müssen weiter an Fahrt aufnehmen
Zwar hat der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in der letzten Legislaturperiode der Digitalisierung im Gesundheitswesen einen großen Schub verliehen, im internationalen Vergleich zählt Deutschland jedoch immer noch zu den digitalen Schlusslichtern. Mit sechs Gesetzen hat Spahn in den letzten vier Jahren die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Digitalisierung des Gesundheitswesens, unter anderem für die Nutzung von Telemedizin, elektronischer Patientenakte (ePA), E-Rezept oder Apps geschaffen. Die Umsetzung erweist sich jedoch immer noch als schwierig und schleppend. Die ePA und das E-Rezept können bisher kaum von den Versicherten genutzt werden, weil noch nicht alle Leistungserbringende angebunden sind, der Aufwand für die Nutzer:innen meist zu komplex und schlicht ein Mehrwert oft nicht erkennbar ist. Auch in der aktuellen Ampel-Koalition scheint die Digitalisierung bis hierhin einen schwierigen Stand zu haben – jedenfalls gibt es bisher keine nennenswerten Weiterentwicklungsinitiativen. Abgesehen davon, dass die Corona-Pandemie zunächst einmal die komplette Arbeitskraft der Gesundheitspolitiker:innen gebunden hat, haben auch die Äußerungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nicht gerade das Vertrauen in die Fachkompetenz für Digitalisierung gestärkt. So hatte sich der Bundesgesundheitsminister Anfang März gegenüber der KBV voreilig geäußert, dass das E-Rezept und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) vorerst gestoppt würden, da diese bisher keinen spürbaren Nutzen für Ärzt:innen und Patient:innen hätten. Kurz darauf dementierte die gematik – das E-Rezept und die eAU seien keinesfalls gestoppt, vielmehr laufe die Testphase wie geplant weiter.
Immerhin wurde der Digitalisierung im Gesundheitswesen ein eigener Absatz im Koalitionsvertrag gewidmet. Darin wird eine Digitalisierungsstrategie im Gesundheitswesen angekündigt, die den Schwerpunkt auf die Lösung von Versorgungsproblemen und die Perspektive der Nutzer:innen legt. Dieser Ansatz ist sehr zu begrüßen, da es laut einer aktuellen Studie des Fraunhofer ISI vom März dieses Jahres in Deutschland bisher an einer tragfähigen E-Health-Strategie fehlt.
- Auch die KKH unterstützt die konsequente Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie im Gesundheitswesen. Die Digitalisierung sollte bestmöglich im Sinne der gesetzlich Versicherten eingesetzt werden. Dabei ist es unabdingbar, dass die Kompetenz aller Akteure des Gesundheitswesens in die Erarbeitung und praktische Umsetzung der E-Health-Strategie eingebunden wird. Die gematik darf beim Ausbau der Telematikinfrastruktur und digitaler Gesundheitsanwendungen nicht über die Köpfe derjenigen, die damit arbeiten müssen, also Ärzte, Krankenkassen, Kliniken und Pflegeeinrichtungen, hinweg entscheiden. Ansonsten droht die E-Health-Strategie aufgrund von Akzeptanz- und Umsetzungsproblemen zu scheitern.
Grundsätzlich will die Ampel-Koalition laut Koalitionsvertrag den Ausbau der Telematikinfrastruktur und die Einführung der elektronischen Patientenakte sowie des E-Rezepts beschleunigen. Die Nutzung der ePA soll den Versicherten zukünftig auf freiwilliger Basis im Opt-Out-Verfahren ermöglicht werden. Dabei besteht das Problem momentan nicht darin, dass die ePA den Versicherten nicht zur Verfügung steht, sondern darin, dass viele Versicherte kaum Kenntnis über die Möglichkeit haben, eine ePA anzulegen, oder keinen praktischen Nutzen der ePA erkennen können. Darüber hinaus erscheint das Registrierungsverfahren vielen als zu aufwändig. Das Opt-Out-Verfahren trägt sicherlich dazu bei, die erste Hürde einer Einrichtung der ePA zu überwinden. Ob diese dann aber auch wirklich praktischen Nutzen generieren kann, hängt maßgeblich davon ab, ob und wie zügig die Anbindung aller Leistungserbringer und die im Patientendatenschutzgesetz vorgesehenen Ausbaustufen erreicht werden können.
- Die KKH begrüßt die beabsichtigte Weiterentwicklung der Telematik-Infrastruktur und der ePA als zentrale Datenplattform. Auch strukturierte Datensätze aus digitalen Gesundheitsanwendungen sollten künftig automatisch Eingang in die ePA finden können, wenn dies die versicherte Person wünscht. Die gematik muss in Zusammenarbeit mit allen beteiligten Akteuren schnellstmöglich dafür sorgen, dass die E-Health-Anwendungen wie das E-Rezept, die elektronische AU oder der elektronische Medikationsplan in die breite Anwendung kommen, damit Patienten und Leistungserbringer einen echten Mehrwert in der ePA und angeschlossenen digitalen Anwendungen erkennen.
Der Koalitionsvertrag verspricht außerdem, Digitalisierung in der Pflege zu nutzen, um Pflegekräfte bei der Dokumentation zu entlasten. Darüber hinaus soll die Digitalisierung für therapeutische Anwendungen und regelhafte telemedizinische Leistungen wie etwa Videosprechstunden oder telenotärztliche Versorgung eingesetzt werden. Zu der Zukunft digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGa) äußert sich der Koalitionsvertrag nicht explizit, obwohl viele Gesundheitsakteure und Expert:innen gerade in DiGas enormes Potenzial für einen ergänzenden Behandlungsansatz sehen, der auch dort Gesundheitsberufe entlasten kann, bei denen der Leistungsbedarf das Angebot übersteigt – etwa in der Psychotherapie oder bei chronischen Erkrankungen.
- Digitale Behandlungsmöglichkeiten sollten weiter konsequent ausgebaut und zur weiteren Prozessoptimierung sowie Strukturverbesserung genutzt werden. Digitale Therapien sollten dort, wo sie einen großen Nutzen haben, als zusätzliche Behandlungsoption etabliert werden. Dadurch können Gesundheitsberufe entlastet, aber auch die Gesundheitskompetenz der Patient:innen in Bezug auf ihre individuelle Erkrankung gestärkt werden. Im Sinne der Beitragszahlenden sollte jedoch bei der Zulassung von DiGAs immer auch die Wirtschaftlichkeit berücksichtigt werden. Die Preisbildung sollte in erster Linie auf die Versorgungsqualität und den tatsächlichen Nutzen ausgerichtet sein.
Grundsätzlich sind die meisten Akteure im Gesundheitswesen der Digitalisierung positiv gegenüber eingestellt. Jedoch mangelt es aufgrund einer unabgestimmten E-Health-Strategie und der fehlenden Bereitwilligkeit zu Investitionen an dem Willen, diese positive Energie gewinnbringend für Patient:innen und Leistungserbringende zu nutzen. Die Politik sollte nun schnellstmöglich dem Beispiel digitaler Vorreiterländer folgen und eine konsistente Strategie für die Digitalisierung des Gesundheitswesens und einen entsprechenden Rechtsrahmen unter aktiver Beteiligung der betroffenen Akteure erarbeiten. Dann werden auch die Kassen noch stärker als bisher digitale Innovationen fördern können, um im Sinne einer solidarischen Gesundheitsversorgung allen Versicherten die Teilhabe an einer verbesserten Versorgung durch digitale Technologien zu ermöglichen. Wichtig ist es zudem, immer wieder die relevanten Akteure in die Weiterentwicklung einzubinden und Angebote praxisnah zu testen, um die spätere Nutzungsrate sowie Akzeptanz zu erhöhen.