Interview: Endometriose – sieben Jahre bis zur Diagnose
12.05.2025 • 8 Minuten Lesedauer
Schmerzen, Zweifel, Unsicherheit – Nastasia S. erzählt im Interview vom Weg zur Diagnose und was ihr im Alltag hilft.
Teil 1: Diagnoseprozess
Wie hast du gemerkt, dass dein Zyklus generell anders tickt?
In meiner WG-Zeit habe ich mit drei Freundinnen zusammengelebt. Wir tauschten uns über alles aus. Dadurch sind mir die Unterschiede der Zyklusverläufe und der Symptome aufgefallen. Damals war ich 20 Jahre alt und mitten in meiner Ausbildung. Von den ersten Symptomen bis zur Diagnose hat es ungefähr sieben Jahre gedauert.
KKH Forsa-Umfrage
Laut einer von der KKH beauftragten Forsa-Umfrage, beobachten und dokumentieren 60 Prozent der 14- bis 50-Jährigen ihren monatlichen Zyklus.
Mit welchen Symptomen hattest du zu kämpfen?
Zu Beginn meiner Periode wurde ich von meinem damaligen Gynäkologen bereits darauf hingewiesen, dass mein Gesundheitszustand während meines Zyklus beobachtet werden müsse. Meine Beschwerden wurden von Zyklus zu Zyklus schleichend schlimmer, sodass ich zunächst mit einer Verhütungspille die Periode unter Kontrolle bekommen sollte. Dadurch wurden die Symptome dann für einige Jahre unterdrückt. Durch das Unterdrücken des natürlichen Zyklus habe ich lange nicht gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Auf Dauer bekam ich starke Stimmungsschwankungen und ein zunehmendes Unwohlsein. Als dann Migräneschübe dazu kamen, musste ich die Pille absetzen und entschied mich ab dem Zeitpunkt gegen hormonelle Verhütungsmethoden.
Was hat sich verändert, nachdem du die Pille abgesetzt hast?
Mit dem Absetzen der Pille wurden meine Beschwerden nach ungefähr einem Jahr stetig schlimmer. Durch das Absetzen der Pille bekam ich nach und nach zwar einen natürlichen Zyklus, der allerdings immer stärker wurde. Zu Unterleibskrämpfen kamen auch Rücken-, Kopf- und Beinschmerzen sowie Magenkrämpfe hinzu. Am Ende hatte ich nur noch eine Woche im Monat, in der ich keinerlei Symptome oder Schmerzen hatte. Selbst die Tage vor, während und nach meinem Eisprung waren eine Qual.
Inwieweit hat dich der Diagnoseprozess belastet?
Trotz unterschiedlicher Ärzte und Schmerzmedikamente wurden meine Beschwerden weder besser noch richtig diagnostiziert. Während dieser Zeit wurde mir das Gefühl vermittelt, dass ich einfach schmerzempfindlich bin und die Wahrnehmung meiner Periode übertrieben wäre. Irgendwann fing ich an, an mir selbst zu zweifeln.
Deine Diagnose: Gab es einen Schlüsselmoment?
Eine Freundin, die selbst von Endometriose betroffen ist, machte mich damals schließlich auf die Erkrankung aufmerksam. Ich las online viele Berichte, in denen ich meine Symptome wiedererkannte. Daher fasste ich mir ein Herz und suchte erneut das Gespräch mit meiner damaligen Frauenärztin.
Durch meine Gynäkologin bekam ich eine Überweisung zum Endometriose-Zentrum in meiner Nähe und schließlich einen Termin. Die zuständige Ärztin des Zentrums begann mit der Anamnese und stellte mir zu Beginn viele Fragen. Im Anschluss untersuchte sie mich per Ultraschall. Relativ schnell sah die Ärztin einige kleine Endometriose-Herde sowie Adenomyose, das sind gebärmutterähnliche Schleimhautzellen in der Gebärmuttermuskulatur.
"Es tat gut, die Gewissheit zu haben, dass ich mir die Schmerzen weder eingeredet hatte noch schmerzempfindlicher bin als andere."
Beim Verdacht von Endometriose – dein persönlicher Rat für Betroffene?
Ruhig bleiben und einen Termin beim Facharzt machen. Im Nachhinein war ich nach dem Besuch im Endometriose-Zentrum dankbar, endlich einen Namen und Grund für meine Beschwerden zu haben. Es tat gut, die Gewissheit zu haben, dass ich mir die Schmerzen weder eingeredet hatte noch schmerzempfindlicher bin als andere. Ab dem Moment war ich handlungsfähig und konnte mir individuell überlegen, welchen Weg ich gehen wollte und vor allem mit wem. Außerdem tat es mir unheimlich gut, mich mit meiner Familie und meinen Freunden darüber auszutauschen.
Dein wichtigster Tipp für Frauen, bei denen Endometriose diagnostiziert wurde?
Der meiner Meinung nach wichtigste Tipp: Beobachte, wie dein Körper reagiert – auf Lebensmittel, Aktivitäten, Tagesabläufe, auf Medikamente. Mir haben dabei regelmäßige Einträge in ein Tagebuch sehr geholfen.
Dinge machen, die einem guttun! Ich habe erst einmal Zeit für mich gebraucht und dann mit immer mehr Menschen darüber gesprochen. Ich habe angefangen, mir weiteres Wissen über die Erkrankung anzueignen und zu schauen, welche Tipps und Tricks zu mir passen.
Auf meinen Körper zu hören war das Beste, das ich hätte machen können. So bin ich viel achtsamer mit mir und meinem Körper geworden. Zudem habe ich irgendwann das Gespräch zu meinen Vorgesetzten gesucht und diese darüber in Kenntnis gesetzt. Ich konnte dadurch ganz anders mit der Erkrankung umgehen und klar kommunizieren, wenn es mir nicht gut ging. Das ist aber natürlich mein persönlicher Weg, der sicher nicht für jede Betroffene infrage kommt.
Teil 2: Alltag mit Endometriose
Wie sieht heute dein Alltag mit Endometriose aus?
Durch die ehrliche und offene Kommunikation mit meiner Familie, meinem Freundeskreis sowie meinen Kollegen und Kolleginnen fällt es mir leichter, mit der Krankheit umzugehen. Auch mein Arbeitgeber weiß Bescheid. Die Sicherheit, dass es Menschen gibt, die für mich da sind und mir zuhören, bedeutet mir wahnsinnig viel. Ich mache kein Geheimnis daraus und gehe offen mit der Endometriose um, was mir wirklich guttut.
Was hilft dir in deinem Alltag mit Endometriose?
Aktuell bin ich regelmäßig zur Kontrolle bei einem Gynäkologen und nehme ein Medikament, durch das ich keine Periode mehr bekomme. Trotzdem wird der Eisprung nicht unterdrückt und ich könnte schwanger werden. Vor allem helfen mir Routinen im Alltag. Ich versuche, täglich zu ähnlichen Zeiten ins Bett zu gehen und aufzustehen. Für die Arbeit bereite ich mir Essen vor, das ich gut vertrage und das mir schmeckt. Außerdem versuche ich, genügend Bewegung in meinen Alltag zu integrieren. Besonders gut geht es mir mit Wärme durch Wärmekissen, Wärmflaschen, Decken oder ein entspannendes Bad.
Mir geht es den Großteil der Zeit zum Glück wirklich gut und an den Tagen, an denen ich Beschwerden habe, nehme ich mir eine Auszeit. Durch die Gleitzeit kann ich mir meine Arbeit selbst einteilen und zudem regelmäßig im Homeoffice arbeiten. Das erleichtert mir meinen Alltag ungemein.
KKH Forsa-Umfrage
76 Prozent der Frauen im Alter von 14 bis 50 Jahren geht davon aus, dass eine Anpassung des Lebensstils an die unterschiedlichen Phasen des monatlichen Zyklus einen positiven Effekt auf die körperliche und emotionale Befindlichkeit während des Zyklus hat, so das Ergebnis einer von der KKH beauftragten Forsa-Umfrage.
Inwieweit hat die Krankheit dich verändert?
Es war schmerzhaft und nervenaufreibend. Aber ich habe so viel über mich selbst dazu gelernt. Ich erkenne die kleinsten Signale meines Körpers und bin in der Lage, direkt zu reagieren. Ich weiß, wann ich eine Pause brauche und wie ich diese meinem Körper geben kann.
Vor allem konnte ich dadurch merken, was für wundervolle Menschen ich in meinem Leben habe. Ich weiß, dass da Menschen sind, auf die ich mich verlassen kann und vor denen ich mich für nichts schämen muss. Auch das Setzen von Grenzen und die Akzeptanz sich selbst gegenüber haben meinen Selbstwert und mein Selbstbewusstsein enorm gesteigert. Im Großen und Ganzen würde ich sagen, dass ich nicht nur achtsamer geworden bin, sondern auch positiver denke und versuche, mir meinen Optimismus zu erhalten.
Teil 3: Umgang mit der Krankheit
Wie hat dein Umfeld auf deine Krankheit reagiert?
Meine Eltern und mein Freundeskreis waren zum Glück immer für mich da und hatten während des Diagnoseprozesses sowie nach der Diagnose immer ein offenes Ohr für mich. Sie haben mir die Zeit gegeben, die ich brauchte und sind weiterhin ganz normal mit mir umgegangen. Das hat mir sehr geholfen. Zudem hat mir mein persönliches Umfeld den notwendigen Anstoß gegeben, um den Diagnoseprozess voranzutreiben und weiterhin am Ball zu bleiben.
"Gerade die Frage nach einem Kinderwunsch, aber auch das Verharmlosen der Schmerzen können sehr verletzend sein."
Gab oder gibt es Vorurteile, mit denen du konfrontiert wirst?
Meiner Meinung nach gibt es noch immer zu viele Vorurteile gegenüber Betroffenen. Deshalb versuche ich durch einen offenen Umgang Menschen aufzuklären. Egal, ob in Gesprächen mit Männern oder Frauen, bin ich mittlerweile offen für Fragen. Denn nur durch Wissen können Verständnis und Akzeptanz geschaffen werden.
Gerade die Frage nach einem Kinderwunsch, aber auch das Verharmlosen der Schmerzen können sehr verletzend sein. Egal, ob Endometriose-Betroffene oder nicht – Fragen und Aussagen hierzu sind oft unangemessen. Leider musste ich im Rahmen meiner Erkrankung zu häufig erleben, nicht ernst genommen zu werden. Seitdem ich von meiner Endometriose und der Adenomyose weiß, kann ich persönlich ganz anders auf Vorurteile reagieren und eingehen und auch mehr für mich selbst einstehen.
Es ist wichtig, sich selbst damit auseinanderzusetzen und nichts zu verdrängen. Es wird immer Vorurteile geben und es wird immer Menschen geben, die nicht damit umgehen können, es nicht verstehen oder verstehen wollen. Am Ende kann ich nicht beeinflussen, was und wie Menschen von mir denken, aber ich habe die Wahl, wie ich damit umgehe.
Beim Blick in die Zukunft – welche Gedanken begleiten dich?
Ich versuche mich wegen der Zukunft und eines eventuellen Kinderwunschs nicht verrückt zu machen, denn alles kommt zu seiner Zeit. Durch die hormonelle Einstellung habe ich im Großen und Ganzen kaum noch Probleme. Mit den Beschwerden, die noch da sind, habe ich mich mittlerweile arrangiert.
Was würdest du dir von der Gesellschaft beim Thema Endometriose wünschen?
Enttabuisierung. Ich finde, es wird noch immer viel zu wenig über Endometriose gesprochen. Auch in der Schule war das bei mir zumindest kein Thema. Es wäre wichtig, Frauen in der Medizin mehr Beachtung zu schenken. Ob bei Medikamenten-Studien oder bei Untersuchungsverfahren, es gilt immer noch der Mann als anatomische Norm. Hier muss sich etwas bewegen und die allgemeine medizinische Versorgung von Frauen verbessert werden.
Auch der Zugang zu Hygieneprodukten sollte sich verändern. Vor allem in öffentlichen Bereichen sollte es zum Standard werden, Hygieneprodukte kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Außerdem gibt es in einigen Ländern bereits Menstruationsurlaub. Das wäre eine tolle Option, um dem Druck der Arbeitswelt gerecht zu werden. Denn keine Frau, die aufgrund ihrer Periode starke Beschwerden hat, hat sich das ausgesucht oder gar eine Wahl.