Geschlecht und Gesundheit: Die Bedeutung der Gendermedizin
21.01.2025 • 8 Minuten Lesedauer
Die Gendermedizin beleuchtet die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Medizin. Dieser Einflussfaktor kann Auswirkungen auf die Gesundheit haben.
„Wir sind alle einzigartig“ – das haben Sie sicherlich schon oft gehört. Aber was heißt das eigentlich für unsere Gesundheit? Woran wir erkranken und welche Behandlungen am besten für uns geeignet sind, hängt von vielen Faktoren ab. Ein entscheidender Aspekt ist dabei unser Geschlecht. Die Gendermedizin steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Bisher gibt es nur wenige qualitativ hochwertige Studien, viele Bereiche sind noch nicht ausreichend erforscht. Doch auch wenn man aktuelle Erkenntnisse mit Vorsicht betrachten sollte, birgt die Gendermedizin ein großes Potenzial für zukünftige Behandlungsansätze.
In der medizinischen Forschung und Lehre ist der "Durchschnittsmensch" noch immer männlich. Das führt dazu, dass wichtige geschlechtsspezifische Unterschiede unbeachtet bleiben, was wiederum die Gesundheitsversorgung vieler Menschen beeinträchtigt.
Genau hier setzt die Gendermedizin an: Sie beschäftigt sich nicht nur mit den biologischen Unterschieden zwischen Männern, Frauen und diversen Menschen, sondern bezieht auch psychosoziale Faktoren in die Diagnose und Behandlung von Krankheiten ein. Ziel ist es, eine Medizin zu entwickeln, die die individuellen Bedürfnisse aller Geschlechter berücksichtigt.
Geschlechtsspezifische Erkrankungen und Risiken
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Frauen haben nach der Menopause ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte. Dabei zeigen sie oft untypische Symptome wie Atemnot oder Übelkeit. Männer erleiden häufiger in jüngeren Jahren Herzinfarkte, die oft schneller erkannt werden.
Osteoporose
Vor allem Frauen nach der Menopause sind betroffen, da sich durch den Östrogenabfall die Knochendichte verringert. Männer entwickeln die Krankheit seltener und später.
Autoimmunerkrankungen
Frauen sind häufiger betroffen, etwa bei Lupus oder rheumatoider Arthritis. Hormonelle und genetische Faktoren spielen hier eine Rolle.
Psychische Erkrankungen
Frauen leiden öfter unter Depressionen und Angststörungen, während Männer ein höheres Risiko für Suchterkrankungen und Suizidverhalten aufweisen.
Brust- und Prostatakrebs
Brustkrebs betrifft vor allem Frauen, während Prostatakrebs eine der häufigsten Krebserkrankungen bei Männern ist. Beide erfordern spezifische Vorsorgeuntersuchungen.
Diabetes
Frauen mit Diabetes haben ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, während Männer häufiger an Diabetes-Komplikationen wie Niereninsuffizienz leiden.
Migräne
Migräne tritt bei Frauen dreimal häufiger auf, oft durch Hormonschwankungen beeinflusst.
Gut zu wissen: In der Gendermedizin geht es nicht nur um offensichtliche biologische Unterschiede. Sie untersucht auch, wie soziale und kulturelle Einflüsse die Gesundheit prägen. Das Geschlecht einer Person beeinflusst die Wahrscheinlichkeit bestimmter Erkrankungen, kann andere Symptome hervorrufen und die optimale Behandlungsstrategie bestimmen. Daher ist es unerlässlich, dass das Gesundheitswesen die Bedeutung geschlechtsspezifischer Unterschiede stärker berücksichtigt.
Die Vielfalt in der Medizin
Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Vielfalt der Geschlechtsidentitäten. Neben cisgeschlechtlichen Personen, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt, gibt es weitere Geschlechtsidentitäten. Personen, die sich als trans, inter, nicht-binär oder genderqueer identifizieren, haben oft spezifische gesundheitliche Bedürfnisse, die bisher kaum Beachtung finden.
Hier eine kurze Übersicht zu den Begrifflichkeiten:
- Cis: Personen, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.
- Inter: Personen mit körperlichen Merkmalen, die weder klar männlich noch weiblich sind; oft wird “divers" im Pass eingetragen.
- Trans: Personen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.
- Non-binär: Personen, die sich nicht ausschließlich als männlich oder weiblich identifizieren.
- Genderfluid: Personen, deren Geschlechtsidentität zwischen verschiedenen Geschlechtern wechselt.
Es gibt auch Personen, die sich keiner Kategorie zuordnen und keine Labels oder Bezeichnungen für sich akzeptieren möchten. Geschlecht ist individuell genauso wie die Menschen selbst.
Gesundheitliche Herausforderungen für LGBTQIA+-Personen
Die gesundheitlichen Herausforderungen für LGBTQIA+-Personen sind vielfältig. Diskriminierung und mangelnde Sensibilität im Gesundheitswesen können zu einer unzureichenden medizinischen Versorgung führen. Hier ist eine geschlechtersensible Medizin gefragt, die die unterschiedlichen Bedürfnisse dieser Personen anerkennt und integriert.
Spezifische gesundheitliche Bedürfnisse, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurden, müssen in den Fokus rücken. Dazu zählen nicht nur körperliche, sondern auch psychische Erkrankungen, die durch Diskriminierungserfahrungen verstärkt werden.
Eine inklusivere und gerechtere Gesundheitsversorgung
Es ist entscheidend, dass die Politik hier vorangeht: Regelungen, Gesetze und Abrechnungsmodalitäten müssen angepasst werden, um eine gerechte Versorgung sicherzustellen. Darüber hinaus müssen Ärztinnen, Ärzte und medizinisches Fachpersonal in der Ausbildung umfassend über geschlechtliche und sexuelle Vielfalt informiert sowie für eine inklusive und respektvolle medizinische Betreuung sensibilisiert werden.
Die Gendermedizin strebt an, die Gesundheitsversorgung für alle Menschen zu verbessern – unabhängig davon, wie diese sich selbst identifizieren. Da die Forschung in diesem Bereich noch ganz am Anfang steht, braucht es jedoch noch Zeit und weitere Studien, bis umfassende Erkenntnisse vorliegen.
Indem wir geschlechtsspezifische Unterschiede und die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten anerkennen und in der medizinischen Praxis berücksichtigen, können wir eine inklusivere und gerechtere Gesundheitsversorgung schaffen.