Nächte ohne Ruhe – was hinter dem Wachliegen steckt

Reaktion: Frau Dr. Könitz, was verursacht das nächtliche Wachliegen?

Dr. Aileen Könitz: Die häufigsten Ursachen für das Wachliegen sind Stress und Sorgen, die nicht verarbeitet wurden. Nachts, wenn es ruhig wird, kommen die Gedanken wieder hoch und das Nachtgrübeln beginnt. Auch unregelmäßige Schlafgewohnheiten, Schichtarbeit, späte Mahlzeiten, Alkoholkonsum, Kaffee und Tee können das Schlafen erschweren.

Redaktion: Ist gelegentliches Wachliegen etwas anderes als eine Schlafstörung? 

Dr. Aileen Könitz: Erst wenn Schlafprobleme mehr als dreimal pro Woche über mindestens drei Monate andauern, spricht man von einer Schlafstörung. Entscheidend ist dabei aber das eigene Empfinden: Fühle ich mich überhaupt in meinem Alltag beeinträchtigt oder komme ich grundsätzlich mit den Schlafproblemen klar? Wenn ich ständig müde und erschöpft bin, sollte ich mir Unterstützung suchen.

Redaktion: Welche unterschiedlichen Schlafstörungen gibt es überhaupt?

Dr. Aileen Könitz: In der Medizin unterscheiden wir drei Arten: Bei Einschlafstörungen liege ich im Bett und komme einfach nicht in den Schlaf. Bei Durchschlafstörungen wache ich in der Nacht auf und liege zwei oder drei Stunden wach. Beim morgendlichen Früherwachen bin ich um vier oder fünf Uhr wach – und wenn ich erst mal wach bin, lässt mich der Kopf auch nicht mehr zur Ruhe kommen.

Redaktion: Warum kommen die Gedanken denn ausgerechnet nachts, wenn ich schlafen will? 

Dr. Aileen Könitz: Nachts haben wir weniger Ablenkungen als tagsüber. Wir sind allein mit unseren Gedanken, die sich im Kopf wiederholen. Unser Gehirn tut dann das, was es am besten kann: Es versucht, Probleme zu lösen. Leider führt das nachts meistens nicht zum Ergebnis, sondern nur zu einem endlosen Kreisen der Gedanken.

Redaktion: Kann ich durch häufiges Nachtgrübeln krank werden? 

Dr. Aileen Könitz: Auf Dauer belasten Nachtgrübeln und zu wenig Schlaf den Körper natürlich. Das kann das Immunsystem schwächen und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Auch psychische Probleme können auf lange Sicht eine Folge sein. Die gute Nachricht ist: Das Nachtgrübeln kann gestoppt werden.

Redaktion: Was kann nachts helfen, wenn der Kopf nicht zur Ruhe kommt? 

Dr. Aileen Könitz: Es ist wichtig, den Druck rauszunehmen. Wer nach 20 bis 30 Minuten nicht eingeschlafen ist, sollte aufstehen und etwas Ruhiges tun, zum Beispiel ein Buch lesen oder meditieren. Fernsehen oder das Durchforsten von Social Media ist nicht zu empfehlen, da diese Aktivitäten das Gehirn eher anregen.

Redaktion: Was kann ich tagsüber oder abends tun, um besser zu schlafen? 

Dr. Aileen Könitz: Regelmäßige Bewegung ist die beste Abkürzung ins Land der Träume. Die berühmten 10.000 Schritte am Tag können auch schon helfen. Oder ein fester Schlafrhythmus und feste Essenszeiten. Auch ein Einschlafritual, wie das Lüften des Zimmers oder eine beruhigende Abendbeschäftigung, fördert die Entspannung.

Redaktion: Was sollte ich lieber nicht tun, um besser schlafen zu können? 

Dr. Aileen Könitz: Späte Mahlzeiten, Koffein, Alkohol oder Sport spätabends sind nicht schlafförderlich. Auch Social Media, Computer oder Fernseher sollten eine Stunde vor dem Schlafengehen ausgeschaltet werden, da das blaue Licht das Einschlafen erschweren kann.

Redaktion: Können Sie über das Nachtgrübeln auch etwas Gutes sagen? 

Dr. Aileen Könitz: Grübeln kann ein Hinweis auf ungelöste Probleme sein. Wenn man sie nachts immer wieder durchdenkt, schenkt man ihnen tagsüber möglicherweise zu wenig Beachtung. Ein kleiner Tipp, mit dem viele meiner Patienten gute Erfahrungen gemacht haben: zu festen Zeiten eine Art „Sorgen-Tagebuch“ führen und darin die Erlebnisse des Tages aufschreiben. Auch ein Notizbuch neben dem Bett kann helfen, Gedanken festzuhalten. Einmal aufgeschrieben, verschwinden sie oft von selbst und das Nachtgrübeln hört auf.

Redaktion: An wen kann ich mich wenden, wenn mich das Nachtgrübeln belastet? 

Dr. Aileen Könitz: Ich empfehle, zuallererst die Hausarztpraxis aufzusuchen, um Klarheit über mögliche körperlich bedingte Ursachen zu erhalten und die nächsten Schritte zu planen. 

Redaktion: Melatonin-Gummibärchen oder Schlafsprays – würden Sie so etwas nehmen? 

Dr. Aileen Könitz: Jein. Melatonin kann sinnvoll sein – man kann es zum Beispiel bei Jetlag oder Schichtarbeit ausprobieren, da wirkt es wie ein Taktgeber für die innere Uhr. Die Wirkung hängt aber auch stark von den persönlichen Erwartungen ab. Bei dauerhaftem Nachtgrübeln ist es keine Lösung – in diesem Fall ist es wichtig, die Ursachen ärztlich abklären zu lassen. 

Redaktion: Gibt es nicht auch Möglichkeiten, den Schlaf auf natürliche Weise zu fördern? 

Dr. Aileen Könitz: Ja klar. Ein regelmäßiger Schlafrhythmus und Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung oder autogenes Training können den Geist beruhigen und den Schlaf verbessern. Zertifizierte Präventionskurse zur Schlafverbesserung oder Stressbewältigung werden von der Krankenkasse unterstützt. Dasselbe gilt für Apps auf Rezept, sogenannte digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), zum Beispiel Apps zu Meditation und Entspannung wie 7Mind oder HelloBetter. 

Redaktion: Was ist Ihr wichtigster Tipp für alle, die heute Abend nicht einschlafen können? 

Dr. Aileen Könitz: Am wichtigsten ist es, sich nicht unter Druck zu setzen. Akzeptieren Sie einfach, dass eine schlaflose Nacht manchmal dazugehört. Die Vorstellung „Ich muss jetzt sofort einschlafen“ verschärft das Problem oft nur. Es ist wichtig, zu wissen, dass es ärztliche und therapeutische Unterstützung gibt – und auch Präventionsangebote Ihrer Krankenkasse.