ADHS verstehen: Zwischen Reizflut, Energie und Alltagschaos

ADHS beginnt in der Regel in der Kindheit, kann aber bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben. Die typischen Symptome lassen sich in drei Hauptbereiche unterteilen:

• Unaufmerksamkeit: Schwierigkeiten, sich längere Zeit auf Aufgaben zu konzentrieren, Details zu beachten oder organisiert zu arbeiten.
• Hyperaktivität: Ein starker innerer oder äußerer Bewegungsdrang – Betroffene zappeln, stehen ständig auf oder fühlen sich „getrieben“.
• Impulsivität: Entscheidungen oder Reaktionen geschehen oft, ohne nachzudenken – das kann zu Konflikten oder Missverständnissen führen.

Nicht jede Person mit ADHS zeigt alle Symptome in gleicher Ausprägung. Manche sind eher verträumt und langsam, andere extrem energiegeladen und impulsiv. Insbesondere Mädchen und Frauen fallen oft durch die unauffälligere, „stille“ Form der ADHS aus dem Raster – sie werden später oder gar nicht diagnostiziert.

Diese Vorstellung hält sich leider hartnäckig: ADHS sei eine Modeerscheinung oder das Ergebnis von zu viel Bildschirmzeit und zu wenig Grenzen. Doch solche Aussagen greifen zu kurz – und sind für Betroffene oft verletzend.

Fachleute sind sich heute einig: ADHS ist neurobiologisch bedingt. Genetische Faktoren spielen eine Rolle, ebenso wie bestimmte Botenstoffe im Gehirn, insbesondere Dopamin und Noradrenalin, die für Aufmerksamkeit und Impulskontrolle wichtig sind. ADHS ist also keine Charakterschwäche – sondern eine andere Art, Informationen zu verarbeiten und mit der Welt umzugehen.

Menschen mit ADHS erleben ihren Alltag oft intensiv – mit allen Sinnen. Das kann kreativ und lebendig wirken, ist aber auch anstrengend.

Ein Kind mit ADHS ist vielleicht das fantasievollste in der Klasse – aber es vergisst ständig seine Hefte. Ein Jugendlicher sprüht vor Ideen – doch bringt keine Hausarbeit zu Ende. Eine Erwachsene organisiert Projekte mit Begeisterung – aber verliert sich in Details und hat ständig das Gefühl, „hinterherzuhinken“.

Viele Betroffene leiden unter Schamgefühlen, dem Eindruck, nicht „normal“ zu funktionieren. Doch wer ADHS versteht, erkennt auch die besonderen Fähigkeiten, die damit einhergehen können: Kreativität, Spontaneität, Empathie und oft ein großes Maß an Resilienz.

Die Diagnose von ADHS ist ein sorgfältiger Prozess – denn viele Symptome können auch bei anderen psychischen Belastungen auftreten, etwa bei Depressionen, Angststörungen oder chronischem Stress.

Zu einer fundierten Diagnose gehören:

• ausführliche Anamnesegespräche mit den Betroffenen und dem Umfeld (z. B. Eltern, Lehrkräfte, Partner:innen)
• standardisierte Fragebögen zur Erhebung der Symptomatik
• ggf. Testverfahren und Beobachtungen, um andere Ursachen auszuschließen

Wichtig: ADHS wird nicht „mal eben“ beim Kinderarzt festgestellt. Der Weg zur Diagnose kann einige Zeit in Anspruch nehmen – ist aber eine wichtige Voraussetzung für gezielte Unterstützung.

ADHS ist zwar nicht heilbar – aber sehr gut behandelbar. Entscheidend ist eine individuelle Kombination aus verschiedenen Maßnahmen:

🧠 Verhaltenstherapie: Ziel ist es, besser mit Impulsen, Ablenkung und Stress umzugehen. Auch Eltern oder Partner:innen werden oft mit einbezogen.
💊 Medikamente: Wirkstoffe wie Methylphenidat und Amphetaminfetamin können helfen, die Informationsverarbeitung im Gehirn zu stabilisieren. Sie werden ärztlich begleitet und individuell dosiert.
📅 Alltagshilfen: Strukturierte Tagesabläufe, Erinnerungs-Apps, Bewegungspausen, klare Regeln – viele kleine Werkzeuge können große Wirkung entfalten.
💬 Psychoedukation: Verstehen, was ADHS ist und wie es wirkt, entlastet Betroffene – und stärkt den Umgang mit sich selbst.

Viele Erwachsene erhalten ihre Diagnose erst spät – oft nach einer langen Leidenszeit. Die Symptome äußern sich im Erwachsenenalter meist anders als bei Kindern: weniger körperliche Unruhe, dafür mehr innere Anspannung, Aufschieben von Aufgaben, Probleme in Beziehungen oder im Job. Hinzu kommen häufig begleitende Störungen wie Depressionen, Ängste oder Suchterkrankungen, die die Diagnose erschweren können.

Ein „Aha-Moment“ erleben viele, wenn sie durch die Diagnose endlich verstehen, warum ihnen gewisse Dinge immer schwerer fielen als anderen – und sie beginnen können, gezielt an sich zu arbeiten.

ADHS ist mehr als ein medizinisches Kürzel. Es ist eine Art, die Welt zu erleben – mit eigenen Herausforderungen und besonderen Stärken. Wer betroffen ist, braucht kein Mitleid, sondern echte Unterstützung, Wissen – und die Chance, eigene Potenziale zu entfalten.