Auch Einsamkeit kann tödlich sein
Wie passen Infektionsschutz und menschliches Miteinander in Zeiten wie diesen zusammen? Der ehemalige Politiker und heutige Seniorenvertreter Franz Müntefering im Interview.
Seit er sich aus der Politik zurückgezogen hat, ist Franz Müntefering in vielen Ehrenämtern aktiv. Als Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) blickt er aus Sicht der älteren Generation auf die Pandemie. Die Organisation mit Sitz in Bonn vertritt die Interessen der älteren Generationen in Deutschland. Sie setzt sich ein für ein aktives, selbstbestimmtes und möglichst gesundes Älterwerden in sozialer Sicherheit. Dies verlässlich zu gewährleisten, stellt unsere Gesellschaft seit jeher vor besondere Herausforderungen. Corona hat deutlicher denn je gezeigt: Es gibt noch viel zu tun.
Herr Müntefering, wie sind Sie persönlich durch die Pandemie gekommen?
Gesund. Ich bin 81 und seit Ende Marz zum zweiten Mal geimpft. Ohne Komplikationen. Ich setze auf Vernunft: Impfen, Maske, Test, Abstand. Und ich bleibe täglich in Bewegung.
Wären Sie in diesen Zeiten gerne selbst noch mal aktiv als Spitzenpolitiker tätig? Oder waren Sie froh, diese schwierigen Entscheidungsprozesse nicht selbst durchleben zu müssen?
Man kann sich in Spitzenverantwortung nicht aussuchen, ob einem die Aufgabe gefällt oder nicht. Ich habe Respekt vor denen, die das Bestmögliche daraus zu machen versuchen. Natürlich gab es Fehler. Dann muss man sich gegenseitig helfen.
Die zentrale Herausforderung der vergangenen Monate war es, Risikogruppen und somit vor allem die Älteren vor dem Corona-Virus und dessen Folgen zu schützen. Wie gut ist das aus Ihrer Sicht gelungen?
Man hat manchmal die Illusion genährt, die Jungen seien da außen vor. Das war nicht gut. Insgesamt waren wir – wie andere Länder auch – auf die Pandemie nicht vorbereitet, und deshalb konnte es in den Alten- und Pflegeheimen zu solchen Eskalationen kommen. Am guten Willen der Pflegerinnen und Pfleger lag es nicht.
Sie haben sich 2007 aus der Politik zurückgezogen, um Ihre Frau bis zum Tod zu pflegen. Aus dieser Zeit stammt auch Ihre Aussage „Wir leben in einer so zeitreichen Gesellschaft, und trotzdem sterben so viele Menschen einsam. Das dürfte eigentlich nicht sein.“ In der Pandemie hat sich dieses Zitat erschreckender denn je bewahrheitet. Haben Sie Hoffnung, dass wir daraus gelernt haben?
Das waren menschliche Katastrophen, nicht mehr zu reparieren: Isolation und einsam sterben müssen. Aber das gibt es auch in pandemiefreien Zeiten. Auch dann kann Einsamkeit tödlich sein. Dringender Handlungsbedarf ist weiterhin vor Ort!
Unter Einsamkeit haben besonders stark auch ältere Menschen gelitten: kein Kontakt zu Kindern und Enkeln, Besuchsverbote in Pflegeheimen. War aus Ihrer Sicht die Abwägung zwischen Infektionsschutz und menschlichem Miteinander stets richtig gewichtet?
Als BAGSO haben wir seit Mai 2020 größere Sensibilität für diese Notlage verlangt, und manche haben es nach besten Kräften versucht. Manche aber auch nicht. Verbindliche gesetzliche Regelungen sind nötig.
Kinder und Jugendliche mussten in der Pandemie viele Opfer bringen, obwohl sie selbst kaum von schweren Krankheitsverläufen bedroht waren. Gleichzeitig findet die Zukunft dieser Generation auf einem Planeten statt, der kurz vorm Klimakollaps steht. Ist das der Stoff für einen Generationenkonflikt?
Die Kleinen und Jungen und ihre Familien verdienen immer noch außerordentlichen Respekt.
Der Protest für effektiven Klimaschutz ist richtig. Auch die Pandemie hat gezeigt: Das Problem löst sich nicht national. Wir brauchen den gemeinsamen Einsatz aller Völker.
Unsere Gesellschaft wird immer älter. Was sind in dieser Hinsicht die zentralen Herausforderungen der nächsten Jahre? Stichworte Pflegereform, Digitalisierung, neue Wohnformen.
Alter werden und alt sein sind keine Krankheiten, sondern oft gutes Leben obendrauf. Und mindestens die Hälfte der mit der demografischen Entwicklung verbundenen Herausforderungen losen die Alten selbst. Aber Handlungsbedarf gibt es auch, das wissen wir alle. Pflege ambulant und Pflege im eigenen Zuhause stehen da ganz oben auf der Liste. Insgesamt glaube ich aber fest dran: Fortschritt bleibt möglich, wenn wir auf Vernunft setzen. Wir sollten mehr nach- und vordenken statt quer.
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