Immer mehr Kindern fehlen die Worte
Sprach- und Sprechstörungen bei Jungen häufiger – Erhöht Corona-Krise das Risiko?
Hannover, 26.11.2020
Laut aktuellem Beschluss von Bund und Ländern bleiben Schulen während der Corona-Pandemie grundsätzlich weiter offen. Eine wichtige Entscheidung, schließlich sind Schulen für Kinder und Jugendliche entscheidende Orte für den Erwerb von Kernkompetenzen. Dazu zählt beispielsweise das Erlernen von Sprache und präziser Kommunikation. Laut Daten der KKH Kaufmännische Krankenkasse werden bei immer mehr Kindern und Jugendlichen Sprach- und Sprechstörungen diagnostiziert. So stieg die Zahl der betroffenen 6- bis 18-Jährigen von 2009 auf 2019 um rund 56 Prozent. Insgesamt sind mehr als sieben Prozent der Heranwachsenden betroffen, bei den 6- bis 10-Jährigen sogar rund 15 Prozent.
Zu Störungen der Sprachentwicklung zählen Wortschatzdefizite, Schwierigkeiten, bestimmte Laute zu artikulieren oder auch Sätze zu bilden und zu verstehen. Auch immer mehr ältere Kinder und Jugendliche benötigen eine sprachtherapeutische Behandlung. So nahm die Zahl der betroffenen 11- bis 14-Jährigen von 2009 auf 2019 um 117 Prozent zu, die der 15- bis 18-Jährigen sogar um 142 Prozent. Zum Vergleich: Bei den 6- bis 10-Jährigen liegt das Plus bei 47 Prozent. Jungen sind deutlich häufiger betroffen. So zeigt die KKH-Auswertung, dass jeder elfte Junge im schulpflichtigen Alter Schwierigkeiten mit der Sprache oder dem Sprechen hat; bei den Mädchen ist es jedes achtzehnte.
Schadet Homeschooling der Sprachkompetenz?
Die Ursachen für Sprachentwicklungsstörungen bei Heranwachsenden sind unterschiedlich. Eine Hörstörung kann ebenso eine Rolle spielen wie Erbkrankheiten oder auch mangelnde Sprachförderung in der Familie. Zudem können zu viele Stunden vor dem Fernseher, PC und mit dem Smartphone in der Hand die Symptome verstärken. Dasselbe dürfte für das während der Corona-Krise eingeführte Homeschooling gelten, bei dem an die Stelle des direkten kommunikativen Austausches mit Lehrern und Mitschülern die Arbeit daheim allein am PC tritt. Das kann der allgemeinen Sprachkompetenz schaden, die dadurch weniger trainiert wird. Dabei ist sie in unserer Gesellschaft ein zentraler Schlüssel für persönlichen, sozialen und beruflichen Erfolg. Denn der nahezu tägliche Umgang mit digitalen Medien und dem Internet in Schule, Beruf und Freizeit setzt voraus, Sprache als Kommunikationsmittel uneingeschränkt einsetzen zu können.
„Entscheidend für die Entwicklung von Kindern ist es, Sprachauffälligkeiten frühzeitig zu erkennen und darauf einzugehen oder sogar therapeutisch zu behandeln“, sagt Mediziner Dr. Bastian Resch von der KKH. „In einigen Fällen führen Sprachstörungen zu Spott durch andere Kinder. Das kann die Betroffenen zum Stillschweigen bringen und sie auch psychisch stark belasten, was ihrem Selbstwertgefühl schaden und zu Ängsten führen kann.“
Was Eltern tun können
Eltern sind gefordert, wachsam zu sein, ob ihr Kind altersgerecht spricht – auch wenn das für sie nicht leicht einzuschätzen ist. „Achten Sie auf die Entwicklung Ihres Kindes und haben Sie vor allem Geduld, denn die Sprachentwicklung ist ein Prozess, der Zeit benötigt“, rät Dr. Resch. Wenn Sie das Gefühl haben, die Sprachentwicklung ist gestört, wenden Sie sich an Ihren Kinderarzt. In der Regel werden Sprachentwicklungsstörungen im Rahmen der U-Untersuchungen beim Kinderarzt festgestellt, der für Eltern Ansprechpartner Nummer 1 in Fragen zur Entwicklung ihrer Kinder ist.
Noch ein entscheidender Tipp von Bastian Resch: „Fördern Sie die Sprachkompetenz Ihres Kindes in allen Altersstufen kontinuierlich und aktiv. Lächeln Sie Ihr Kind an, wenn es anfängt zu brabbeln oder durch Mimik und Gestik mit Ihnen Kontakt aufnimmt. Dadurch bestärken Sie Ihren Nachwuchs, mit Ihnen zu kommunizieren. Lesen Sie Ihrem Kind viel vor, wenn es noch klein ist. Führen Sie Gespräche mit Ihren Kindern über unterschiedliche Themen und sorgen Sie so für ausreichend Sprachreize.“
Hinweis für die Redaktionen: Eine Grafik zum Download finden Sie weiter unten.
Hinweis zur Datenanalyse
Die KKH hat anonymisierte Daten ihrer Versicherten zwischen 6 und 18 Jahren mit der Diagnose F80 nach ICD-10 von 2009 und 2019 erhoben (ohne F 80.2 und F80.3). Im Jahr 2019 waren im Schnitt 7,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen betroffen. Der Anteil in den verschiedenen Altersgruppen lag bei den 6- bis 10-Jährigen bei 14,7 Prozent, bei den 11- bis 14-Jährigen bei 4,9 Prozent und bei den 15- bis 18-Jährigen bei 2,0 Prozent. Die KKH Kaufmännische Krankenkasse ist eine der größten bundesweiten gesetzlichen Krankenkassen mit rund 1,7 Millionen Versicherten. Nähere Informationen erhalten Sie unter kkh.de/presse/portrait.